Brexit – Ex-IRA-Mitglied warnt vor Rückkehr der Gewalt in Nordirland
«Manche sind zu allem bereit»

Neue Autobomben und Sprengstoffpakete erinnern an eine Zeit, in der Grossbritannien vom Terror regiert wurde. BLICK sprach mit Michael Culbert (69), einem Ex-IRA-Mitglied über den Brexit – und die Angst vor einem neuen Konflikt.
Publiziert: 20.03.2019 um 23:54 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2021 um 12:38 Uhr
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Der IRA-Aktivisten Michael Culbert (l.) und Laurence McKeown in den 80er-Jahren im nordirischen Maze Prison.
Foto: Photo Album Of The Irish
Martin Bruhin

Weisses Hemd, Buchhalterbrille und ein warmes Lächeln: Michael Culbert (69) könnte der höfliche Nachbar von nebenan sein. Doch der Mann mit dem irischem Akzent sass 16 Jahre im Knast – wegen Mordes: Culbert war Mitglied der berüchtigten Terrororganisation Irisch-Republikanische Armee (IRA), die Grossbritannien für fast 30 Jahre mit Bombenanschlägen und Attentaten im Würgegriff hatte.

Und eben diese IRA, ein Gespenst der Vergangenheit, ist plötzlich wieder aktuell: Mitten im Brexit-Chaos detonierte im Januar in der nordirischen Stadt Derry eine Autobombe. Anfang März wurden drei Sprengstoff-Pakete an verschiedene Standorte in London geschickt – Absender unbekannt. Die Angst sitzt den Nordiren wieder im Nacken. Kommt die IRA zurück?

«Gewalt kann wieder ausbrechen»

Culbert selbst war einer, der damals Gewalt anwendete. In Diensten der IRA tötete er einen britischen Polizisten, sass dafür fast 16 Jahre im nordirischen Hochsicherheitsgefängnis Maze Prison. Der Brexit birgt eben diese Gefahr: ein Wiederaufflammen der Gewalt. «Manche sind mit der politischen Situation so unzufrieden, dass sie zu allem bereit sind», sagt Culbert zu BLICK.

Es seien aber nur Einzelne, die den Finger am Abzug hätten. Dabei handle es sich meist um kleine Splittergruppen der ehemaligen IRA, wie beispielsweise die «New IRA». Und er befürchtet: «Diese Gruppen können die Gewalt wieder ausbrechen lassen.» Eine gross angelegte, bewaffnete Kampagne wie zu Zeiten des Nordirlandkonflikts, als sich irisch-katholische Nationalisten und grossbritannientreue protestantische Unionisten bekämpften, schliesst er aber aus.

Kein Rückhalt in der Bevölkerung

Gegen einen neuen Konflikt spreche, dass den heutigen Gruppierungen der Rückhalt aus der Bevölkerung fehle. Damals sei das anders gewesen. Culbert selbst schloss sich am 30. Januar 1972 nach dem Bloody Sunday, als unbewaffnete Demonstranten von britischen Soldaten erschossen wurden, der IRA an. «Wenn Menschen friedlich für ihre Rechte demonstrieren und dafür getötet werden, gibt es nur eines – Revolution!»

Wenn sich die EU und die britische Regierung nicht einigen können, kann es zu einem harten Brexit mit wohl chaotischen Folgen kommen. Irland könnte weiterhin in der EU bleiben, Nordirland aber nicht. Und damit könnte die heute unsichtbare Grenze wieder mit Kontrollen und Zäunen sichtbar gemacht werden.

Das bereitet vielen Nordiren Sorgen – auch Michael Culbert. «Was momentan im Parlament abgeht, ist lächerlich und verwirrend.» Er befürchtet, dass sich die britische Regierung nicht genug Gedanken über die effektiven Auswirkungen gemacht hat.

Jetzt kämpft er friedlich

Culbert kämpft noch immer für ein vereinigtes Irland, heute aber friedlich. Einerseits auf politischem Weg, als Mitglied der Partei Sinn Féin. Andererseits mit sozialer Arbeit, bei der er ehemaligen Gefangenen dabei hilft, wieder ein normales Leben zu führen. Culbert besucht zusammen mit seinen ehemaligen Feinden – britischen Soldaten – auch Schulen und Universitäten und spricht über die dunkelste Zeit seines Lebens.

Culbert hadert nicht mit seiner Vergangenheit. Dass er damals einen Menschen getötet hat, bereut er nicht, es sei für ihn damals unausweichlich gewesen. «Früher gab es keine andere Möglichkeit, als Gewalt anzuwenden.»

Ex IRA-Kämpfer Michael Culbert

Michael Culbert schloss sich im Alter von 23 Jahren der Irisch Republikanischen Armee (IRA) an. Auslöser dafür war der sogenannte «Bloody Sunday», der am 30. Januar 1972 stattfand. An diesem Tag wurden in der nordirischen Stadt Derry 14 unbewaffnete Zivilisten bei einer Demonstration von britischen Soldaten erschossen. Mit 28 Jahren wurde Culbert verhaftet, weil er einen britischen Polizisten getötet hatte. Er wurde zu Lebenslanger Haft im Hochsicherheitsgefängnis «Maze Prison», in Nordirland verurteilt. Im Zuge der Friedensverhandlungen kam er aber nach knapp 16 Jahren wieder frei. Heute arbeitet Culbert in einer Organisation, die sich für ehemalige Gefangene des Konflikts einsetzt. Sein Traum von einem vereinten Irland verfolgt er heute auf friedlicher Basis.

Michael Culbert schloss sich im Alter von 23 Jahren der Irisch Republikanischen Armee (IRA) an. Auslöser dafür war der sogenannte «Bloody Sunday», der am 30. Januar 1972 stattfand. An diesem Tag wurden in der nordirischen Stadt Derry 14 unbewaffnete Zivilisten bei einer Demonstration von britischen Soldaten erschossen. Mit 28 Jahren wurde Culbert verhaftet, weil er einen britischen Polizisten getötet hatte. Er wurde zu Lebenslanger Haft im Hochsicherheitsgefängnis «Maze Prison», in Nordirland verurteilt. Im Zuge der Friedensverhandlungen kam er aber nach knapp 16 Jahren wieder frei. Heute arbeitet Culbert in einer Organisation, die sich für ehemalige Gefangene des Konflikts einsetzt. Sein Traum von einem vereinten Irland verfolgt er heute auf friedlicher Basis.

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