Welche Parteien halten jetzt noch zum Kanzler?
Das hat es mit der Vertrauensfrage auf sich

Nach dem Rauswurf von FDP-Finanzminister Christian Lindner durch Olaf Scholz verliessen alle FDP-Minister die Regierung. Scholz will im Januar die Vertrauensfrage stellen. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen zu den potenziellen Neuwahlen.
Publiziert: 08.11.2024 um 17:47 Uhr
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Aktualisiert: 08.11.2024 um 20:20 Uhr
Olaf Scholz könnte schon bald nicht mehr deutscher Bundeskanzler sein.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Die Ampelkoalition – bestehend aus SPD, Grünen und FPD – hat sich endgültig zerstritten. Der monatelange Streit der deutschen Regierung endete mit dem Rauswurf des FDP-Finanzministers Christian Lindner (45) durch Bundeskanzler Olaf Scholz (66). Kurz darauf verliessen sämtliche FDP-Minister geschlossen die Regierung. Sofort wurden Rufe nach Neuwahlen laut – doch Scholz vertröstet auf den Januar. Erst dann möchte er die Vertrauensfrage stellen, Neuwahlen sollen im März folgen. Aber – was ist denn das genau? Blick beantwortet dir die wichtigsten Fragen zu potenziellen deutschen Neuwahlen.

Was ist die Vertrauensfrage eigentlich genau?

Theoretisch ist das Konzept simpel: Der amtierende Bundeskanzler fragt das Parlament, in Deutschland also den Bundestag, ob es seine Politik unterstützt. Wenn die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag den Kanzler – in diesem Falle Olaf Scholz – weiterhin als Regierungschef haben möchte, bleibt er dies auch. Sollte sich die Mehrheit aber gegen den Kanzler entscheiden, treten er und seine Regierung zurück. Danach kann der Bundespräsident, aktuell Frank-Walter Steinmeier (68), innert 21 Tagen das Parlament auflösen und Neuwahlen verkünden – zu diesen darf Scholz natürlich antreten. 

Dieses Konzept wurde in die deutsche Verfassung aufgenommen, um zu garantieren, dass die Regierung auch in Krisensituationen regierungsfähig bleibt – oder eben von einer neuen Regierung abgelöst wird.

Welche Parteien halten jetzt noch zum Kanzler?

Nachdem Scholz seinen Finanzminister Lindner vor die Tür gesetzt hat, stellte sich die FDP geschlossen gegen ihn. Auch die CDU/CSU, angeführt von Friedrich Merz (68) und Markus Söder (57), drängen auf Neuwahlen – aus Missvertrauen gegenüber der aktuellen Regierung. Und auch die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht stellen sich gegen den aktuellen Kanzler.

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Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz muss dem Bundestag die Vertrauensfrage stellen.
Foto: keystone-sda.ch

Einzig Scholz’ eigene Partei, die SPD, hält noch zu ihrem Chef. Die Grünen haben sich ebenfalls noch nicht von Scholz distanziert – obwohl es auch in dieser Partei Stimmen gibt, die einen Rücktritt der aktuellen Regierung fordern. Zudem ist es gut möglich, dass Robert Habeck (55) – immerhin der stellvertretende Bundeskanzler – noch am Freitag seine eigene Kanzlerkandidatur verkünden und so Scholz in den Rücken fallen könnte.

Wieso stellt Olaf Scholz die Vertrauensfrage erst so spät?

Offiziell begründet Scholz das Zuwarten damit, «dass der Wahlkampf dann mitten in die Weihnachtszeit hineinfallen werde», wie ZDF berichtet. Gleichzeitig möchte sich der Kanzler natürlich möglichst gut für allfällige Neuwahlen aufstellen. Die Kommunikation des Kanzlerbüros lässt Raum für Interpretationen – hofft Scholz etwa darauf, dass bis im Januar oder März bereits Gras über die ganze Sache gewachsen ist?

Nein, so Wolfgang Schroeder, Experte für deutsche Politik an der Uni Kassel, gegenüber Blick. Laut ihm gibt es zwei Gründe, weshalb die Vertrauensfrage und die Neuwahlen nicht früher stattfinden können: «Erstens gibt es eine ganze Reihe von Gesetzen, welche die Regierung noch durchbringen will – bei denen sie sich auch mit der Opposition einig ist.» Dazu gehören laut Schroeder vor allem europäische Richtlinien oder aber auch die verstärkte Unterstützung der Ukraine.

Als zweiten Punkt nennt Schroeder die Rollen der Parteien. «Die Parteien sind bis zum Regierungsbruch davon ausgegangen, dass erst im September 2025 gewählt wurde. Dementsprechend sind in vielen Wahlkreisen noch gar keine Kandidaten bestimmt und auch sonst fehlen die Vorarbeiten für Neuwahlen.» Allerdings kündigte Scholz am Freitag an, dass er auch zu Gesprächen über einen früheren Termin bereit sei. Er versicherte, dass es bald eine Lösung «für alle» geben würde.

Aber dauert das nicht alles viel zu lange?

Auch hier verneint Experte Schroeder. Dass es von der Ankündigung einer Vertrauensfrage, hin zur tatsächlichen Frage bis zu den Neuwahlen zwei beziehungsweise knapp fünf Monate dauert, sei völlig im Rahmen. Das sei laut Schroeder keine ausserordentlich lange Zeit, um eine solche politische Aufgabe zu bewältigen.

Mit einer neuen Regierung sei sogar erst im Mai oder Juni zu rechnen, so Schroeder. «Koalitionsverhandlungen dauern meist zwei bis drei Monate», erklärt der Experte. 2005, das letzte Mal als in Deutschland vorgezogene Neuwahlen stattfanden, waren es etwa vier Monate.

Mussten schon andere Kanzler die Vertrauensfrage stellen?

Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland mussten vier Kanzler die Vertrauensfrage stellen – einer von ihnen sogar zweimal. 

Das erste Mal wurde die Vertrauensfrage 1972 vom damaligen Kanzler Willy Brandt (1913–1992) gestellt. Er verlor die Vertrauensfrage, es kam zu Neuwahlen. Genau zehn Jahre später, 1982, musste Helmut Schmidt (1918–2015) – der die Neuwahl 1972 gewann – die unangenehme Frage ans Parlament stellen. Er gewann die Vertrauensfrage, wurde allerdings wenige Monate später durch ein Misstrauensvotum gestürzt.

Neuer Kanzler wurde Helmut Kohl (1930–2017) – der noch im selben Jahr, 1982, die Vertrauensfrage selbst stellen musste. Zwar verlor er diese, gewann aber die Neuwahlen im März 1983. Der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder (80) musste sich gleich zweimal der Vertrauensfrage stellen – 2001 und 2005. Die zweite Vertrauensfrage verlor er und Angela Merkel (70) wurde nach den folgenden Neuwahlen zur Bundeskanzlerin gewählt.

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