Lisa Yasko schiebt sich durch die Menschenmenge am St. Gallen Symposium. Gerade nahm sie an einer Diskussionsrunde zur Rolle der Nato teil. Dabei waren auch die ehemalige kroatische Präsidentin und der Vizepräsident der Münchner Sicherheitskonferenz, doch hinterher interessieren sich alle nur für die ukrainische Abgeordnete. Ein Wort der Bewunderung hier, ein Selfie dort. Yasko macht alles freundlich mit, nur lächeln kann sie für die Smartphone-Kameras nicht: «Ich bin sehr traurig, dass wir in unserem Land so viel Schmerz durchmachen müssen. Spass haben ist für uns alle im Moment nicht möglich.»
SonntagsBlick: Frau Yasko, Sie sind diesen Monat für mehrere Meetings und Konferenzen hier. Wie beurteilen Sie die Handlungen der Schweiz seit Kriegsbeginn?
Lisa Yasko: Ich freue mich über die Haltung, welche die Schweiz zur Ukraine eingenommen hat. Wie der Schweizer Bundespräsident auf dem Symposium gesagt hat: «Wir können nicht neutral bis gleichgültig sein, es geht um Grundsätze und Werte. Es geht bei der Schweizer Position vielleicht nicht um die militärische Unterstützung, aber wir wollen zum Frieden beitragen.»
Die Gepard-Panzer, die sich die Ukraine wünscht, können aber nicht geliefert werden, weil die Schweiz die Lieferung hierzulande hergestellter Munition blockiert.
Ich denke, dass die Schweiz ein Sonderfall ist. Wenn sie aufgrund ihres neutralen Status nicht militärisch helfen will, ist das in Ordnung. Die Schweiz kann mit anderen Mitteln viel mehr bewirken. Und das tut sie zum Teil bereits.
Sie klingen sehr angetan, dabei hat zum Beispiel die amerikanische Helsinki-Kommission die Schweiz vergangene Woche als «Gehilfin Putins» bezeichnet.
Es war eine grosse Überraschung, dass die Schweiz Sanktionen verhängt hat, um russische Vermögenswerte einzufrieren. Weil wir wissen, wie viele davon sich hier befinden, ist das sehr beeindruckend. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie es weitergeht.
Was ist Ihr Vorschlag?
Unbedingt stark zu bleiben – die ganze internationale Gemeinschaft. Wir dürfen keine Furcht zeigen. Putin denkt, Europa sei schwach und er könne überall das tun, was er will. Ich will nicht mehr hören, dass man ihn nicht «provozieren» dürfe. Das legt er als Freibillett aus.
Sie dreht Filme, macht Musik – und Politik: Multitalent Lisa Yasko (31) sitzt seit zwei Jahren für Selenskis Partei «Sluha narodu» (Diener des Volkes) im Parlament, das trotz Krieg funktioniert. Die Abgeordneten sind in der Ukraine geblieben, 90 Prozent der Sitzungen finden allerdings online statt. Yasko studierte in Moskau und Oxford, für ihr Engagement und ihre künstlerischen Aktivitäten wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Privat ist sie mit dem ukrainischen Spitzenpolitiker und georgischen Ex-Präsidenten Micheil Saakaschwili (54) liiert.
Sie dreht Filme, macht Musik – und Politik: Multitalent Lisa Yasko (31) sitzt seit zwei Jahren für Selenskis Partei «Sluha narodu» (Diener des Volkes) im Parlament, das trotz Krieg funktioniert. Die Abgeordneten sind in der Ukraine geblieben, 90 Prozent der Sitzungen finden allerdings online statt. Yasko studierte in Moskau und Oxford, für ihr Engagement und ihre künstlerischen Aktivitäten wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Privat ist sie mit dem ukrainischen Spitzenpolitiker und georgischen Ex-Präsidenten Micheil Saakaschwili (54) liiert.
Wie sehen Sie das aktuelle Kräfteverhältnis zwischen den ukrainischen und den russischen Truppen?
Unser Militär leistet grossartige Arbeit, aber ich habe Sorge um Mariupol. Putin will bis zum 9. Mai unbedingt irgendeinen Sieg erzielen.
Was erwarten Sie am Montag?
Dass er bis dahin Mariupol und einen Teil der Ostukraine einnehmen will und noch mehr Menschen tötet, um zu beweisen, dass die ukrainische Armee Verluste erlitten hat. Und dafür könnte er auf verschiedene Waffenarten zurückgreifen …
Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass Putin Atomwaffen einsetzt?
40 Prozent. Er hat schon so viele unserer Städte bombardiert. Er hat Chemiewaffen eingesetzt. Und was ist mit den Vergewaltigungen von Frauen, mit den Kindern und Alten? Er hat alle Grenzen überschritten. Ich glaube, er ist bereit, noch verrücktere Dinge zu tun, weil er nichts mehr zu verlieren hat und mental durchgedreht ist. Er lebt in einer völlig anderen Realität. Das Einzige, was er versteht, ist, wenn die russische Armee Verluste meldet – und dann feuert er Leute, wirft selbst Kommandeure ins Gefängnis, weil er wütend ist. Er will mit der Invasion unbedingt Erfolg haben.
Wenn die Ukraine Putins Truppen zurückdrängen kann – nehmen Sie dann auch die Krim ins Visier?
Grundsätzlich wollen wir unser Gebiet zurück. Die Krim wurde der Ukraine aggressiv entrissen. Ich hoffe auf Zeiten, in denen das vor Gericht kommt. So könnten wir das Gebiet zurückerobern. Natürlich berücksichtigen wir dabei den Willen des ukrainischen Volkes.
Sie sind top ausgebildet, Ihnen stünden überall Türen offen. Trotzdem bleiben Sie in der Ukraine. Warum tun Sie sich das an?
Weil mir die Ukraine viel bedeutet, weil mein Lebenssinn untrennbar mit dem Land verbunden ist. Ich gehöre zur Generation «unabhängiger» Ukrainerinnen und Ukrainer – wir tragen eine grosse Verantwortung. Die Ukraine ist ein grossartiges Land, und es gibt viele kreative, sehr talentierte Menschen. Hier kann ich etwas aufbauen, auf das ich stolz sein kann. In Europa gelten so viele Dinge als selbstverständlich. Dort nur für Geld zu arbeiten, interessiert mich nicht.
Wollen Sie das Land eines Tages führen?
Ich werde immer zum Erfolg der Ukraine beitragen wollen, egal, in welcher Position. Ich hoffe wirklich, dass wir diesen Krieg beenden können. Wir werden Frieden haben wie die Schweiz und eine neue Ukraine, in der jeder seinen Beitrag leisten kann, ohne Aggressionen von russischer Seite, und in der es mehr Glück gibt. Wir haben dieses Glück wirklich verdient.