Am Ende war es ein Denkzettel für die rot-rot-grüne Regierung in Berlin. Bei der Wiederholungswahl in Berlin setzte sich zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren die CDU durch. Die SPD um die regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (44) fuhr das schlechteste Ergebnis seit 1950 ein. Giffeys eigener Wahlkreis Neukölln ging an die Christdemokraten, die Sozialdemokraten gewannen keinen einzigen Bezirk in der Hauptstadt.
Berlin gilt als linke Hochburg, war bis zur Wahl traditionell fest in der Hand der SPD. Jetzt ist die CDU im Aufwind. Was sind die Gründe für die politische Kehrtwende im sonst so linken Berlin? Blick hat mit Experten gesprochen.
Das bedeutet die Berlin-Wahl für die SPD
Nicht nur für die Berliner SPD ist die Wahlschlappe ein herber Dämpfer, auch die Bundes-SPD um Bundeskanzler Olaf Scholz (64) dürfte das Ergebnis mitten ins Herz treffen. Scholz und die Parteispitze müssen sich jetzt fragen, warum ihre Wahlkampfhilfe nicht den gewünschten Effekt erzielte.
Sollte die CDU ein Bündnis mit den Grünen eingehen, wäre die Blamage perfekt. Eine weitere schwarz-grüne Koalition käme für die Sozialdemokraten einer Katastrophe gleich. Die SPD wird ihre eigenen Schwächen und Fehler gründlich prüfen müssen.
«Für die SPD und Kanzler Scholz ist dies ein Rückschlag zu Beginn eines Jahres mit insgesamt vier Landtagswahlen» analysiert der Politologe Stefan Marschall (54) von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Die Wiederholungswahl zeige, dass die Schwäche der CDU bei der Bundestagswahl 2021 ein Ausreisser nach unten war.
Für SPD-Bürgermeisterin Giffey könnte die Wahl das Ende ihrer politischen Karriere bedeuten. Eine Ablösung der früheren Bundesfamilienministerin wird intern diskutiert, wie der «Spiegel» berichtet.
Gute Stimmung bei CDU, Wahlschlappe für SPD
Ganz anders ist dagegen die Stimmung bei der CDU: Nach Auszählung aller Wahlkreise kommen die Christdemokraten auf 28,2 Prozent. Sie dürfen sich über ein Plus von gut zehn Prozent im Vergleich zur Pannenwahl 2021 freuen. Im Bund stärkt das Ergebnis die Schwarzen und gibt Rückenwind für die kommenden Wahlen in den Bundesländern Bremen, Bayern und Hessen. CDU-Chef Friedrich Merz (67) dürfte sich den Wahlsieg zunutze machen und ihn als Misstrauensvotum gegen die Ampel-Koalition im Bund umdeuten.
Hinzu kommt: «Die Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit hat viele Wählende zur grössten Oppositionspartei wandern lassen», weiss Marschall. «Nur ein Viertel der Berliner äusserte sich zufrieden, die anderen sind unzufrieden mit der Berliner Regierung», sagt Ursula Münch (62). Sie ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr in München.
«Sicherheit und Ordnung – insbesondere mit Blick auf die Silvesternacht – haben den Wahlkampf stark geprägt. Die CDU konnte hiervon deutlich profitieren, da dies ihr Kompetenzthema ist», so Stefan Marschall. Bei den Silvesterausschreitungen hatten Jugendliche Feuerwehr und Polizei attackiert. Teils herrschte Chaos auf den Strassen Berlins.
Diese Rolle spielten die Silvester-Krawalle
Mit Blick auf die Krawalle in der Silvesternacht verfolgt der Berliner Spitzenkandidat Kai Wegner (50) eine harte Linie. Im Wahlkampf forderte er «die volle Stärke des Rechtsstaats» gegen die Täter, eine bessere Ausstattung der Polizei und die Bekanntgabe der Vornamen der Tatverdächtigen.
Er wollte wissen, wie viele derjenigen mit deutschem Pass Migrationshintergrund haben, was ihm schärfste Kritik der drei Regierungsparteien einbrachte.
Aber: Kai Wegner ist noch lange nicht am Ziel. Er ist auf die Kooperationsbereitschaft einer der unterlegenen Parteien angewiesen, sonst könnte er am Ende noch leer ausgehen. Die bisherige rot-rot-grüne Koalition hätte weiter eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus. «Ich halte es für relativ unwahrscheinlich, dass Herr Wegner erfolgreiche Sondierungsgespräche mit der SPD oder den Grünen führen wird», stellt Ursula Münch fest.
Grüne Verkehrspolitik sorgt für Unzufriedenheit
Die Grünen haben bei den kommenden Sondierungen mit CDU, SPD und Linken eine denkbar günstige Ausgangsposition. Sie sind laut Marschall «das Zünglein an der Waage». Die Berliner Grünen um Spitzenkandidatin Bettina Jarasch (54) könnten entscheiden, «ob die SPD oder die CDU zukünftig den regierenden Bürgermeister stellen.»
So richtig zufrieden kann man in der Öko-Partei mit dem Ergebnis aber nicht sein. Denn: Es gelang nicht, die SPD zu übertrumpfen. Eine grün-rot-rote Regierung bleibt ein Wunschtraum.
Ein möglicher Faktor, welcher die Chance auf die Führungsrolle schmälerte: «Die Menschen, die in den Berliner Aussenbezirken wohnen und auf ihr Auto angewiesen sind, ärgern sich über die Verkehrspolitik der grünen Spitzenkandidatin Jarasch», konstatiert Ursula Münch. Während die CDU die Autofahrer im Wahlkampf umschmeichelte, taten die Grünen das genaue Gegenteil.
AfD mit leichten Zugewinnen
Bei der FDP dürften derweil so langsam die Alarmglocken schrillen. Die Liberalen erleben einen klaren Negativtrend in den Bundesländern. Reihenweise gingen Wahlen verloren. Bundes-Chef Christian Lindner (44) sitzt trotz allem fest im Sattel. Die Frage ist, wie lange noch?
«Die Stimmung zwischen den Koalitionspartner im Bund wird auch deshalb angespannter werden, weil zwei der Koalitionspartner regelmässig Misserfolge bei Wahlen auf Landtagsebene erzielen: FDP und SPD», hebt Ursula Münch die Bedeutung der Rückschläge für die beiden Ampel-Parteien hervor.
Die unter anderem in der Russland-Politik zerstrittene Linke erzielte 12,2 Prozent. Dietmar Bartsch (64), Fraktionschef der Partei im Bundestag, zeigte sich erfreut über das Ergebnis. Ein gutes Ergebnis – «gegen den Bundestrend», hebt Experte Marschall hervor. Im Gegensatz zur SPD blieb der Dämpfer aus.
Die AfD legte leicht zu – von 8,0 auf 9,1 Prozent. Sie habe sich «weiter im Berliner Abgeordnetenhaus etabliert», stellt Marschall fest. Sowohl die Berliner als auch die Parteispitze der Rechtspopulisten im Bund sehen sich in ihrem Protestkurs bestätigt.