Kai Wegner (50) ist der klare Gewinner des Berliner Wahlabends. Welchen Wert der Sieg für den CDU-Spitzenkandidaten am Ende haben wird, ist aber unklar. Mit rund 28 Prozent in den Hochrechnungen haben Wegner und seine Partei die SPD mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (44) und die Grünen am Sonntag zwar deutlich distanziert. Aber die Koalitionsbildung wird schwierig. Wegner ist auf die Kooperationsbereitschaft einer der unterlegenen Parteien angewiesen, sonst könnte er am Ende noch leer ausgehen.
Im Wahlkampf indessen liess Wegner kein gutes Haar an der rot-grün-roten Regierung, teilte hart gegen SPD und Grüne aus. In Berlin laufe «vieles schlicht und ergreifend nicht», sagte der 50-Jährige. «Verkehrschaos, Bildungschaos, Kriminalitätshauptstadt, eine dysfunktionale Verwaltung» zählte der im Bezirk Spandau Geborene auf, dessen Fokus spätestens seit der Abgeordnetenhauswahl vom September 2021 auf der Landespolitik liegt.
Zuvor sass er zunächst über 15 Jahre lang für die CDU im Bundestag, wo er baupolitischer Sprecher der Unionsfraktion war. Zeitgleich arbeitete der gelernte Immobilienkaufmann an seinem Aufstieg in der Hauptstadt-CDU: Er war stellvertretender Landesvorsitzender, dann Generalsekretär und wurde 2019 schliesslich als Nachfolger der ehemaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters (61) Chef des Landesverbands in der deutschen Hauptstadt.
«Volle Stärke des Rechtsstaats» gegen Täter
Schon bei der von schweren Pannen überschatteten Berliner Wahl 2021 trat er als Spitzenkandidat der CDU an. Er führte seine Christdemokraten damals knapp hinter den Grünen auf den dritten Platz, schaffte es aber nicht in eine Regierungskoalition. Stattdessen wurde der Vater dreier Kinder Fraktionschef seiner Partei im Abgeordnetenhaus und Oppositionsführer.
Bei der Wiederholungswahl am Sonntag liess er nun SPD und Grüne hinter sich, wobei er auch von einem positiven Bundestrend der Union profitiert haben dürfte. Starken Einfluss auf das für Berliner Verhältnisse gute CDU-Ergebnis dürften aber auch die Silvesterausschreitungen gehabt haben.
Wegner verfolgt dabei eine harte Linie. Im Wahlkampf forderte er «die volle Stärke des Rechtsstaats» gegen die Täter, eine bessere Ausstattung der Polizei und die Bekanntgabe der Vornamen der Tatverdächtigen. Er wollte wissen, wie viele derjenigen mit deutschem Pass Migrationshintergrund haben, was ihm schärfste Kritik der drei Regierungsparteien einbrachte.
Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ging nach dem Vorstoss sogar so weit, dass sie eine Koalition mit der CDU faktisch ausschloss. Doch auch sonst sind die Unterschiede zwischen den beiden Parteien gross, vor allem in der Verkehrspolitik. Die Grünen wollen Tempo 30 und weniger Autos in der Stadt, Wegner stellt sich auf die Seite der Autofahrer. «Das Auto gehört zu Berlin», sagte er. Und äusserte im Wahlkampf seinerseits, er könne sich eine Koalition mit den Grünen nach der Wahl «nicht vorstellen».
Welche Koalition regiert künftig Berlin?
Bliebe noch die SPD um Giffey, zumal der Regierenden Bürgermeisterin und SPD-Landeschefin sogar Sympathien für ein Bündnis mit der CDU nachgesagt werden. An der SPD-Basis aber könnte diese Kombination deutlich weniger Chancen haben. Und angesichts massiver SPD-Stimmenverluste bei der Wahl am Sonntag ist unklar, wie gross Giffeys künftiger Einfluss noch sein wird.
Am Wahlabend ist Wegner jedenfalls bemüht, sich beide Optionen zur Macht offenzuhalten. Auch von einem Ausschluss einer Koalition mit den Grünen spricht er nicht mehr. Er wolle in den nächsten Tagen «sehr ergebnisoffen» sowohl mit der SPD als auch mit den Grünen über die Möglichkeiten einer Koalitionsbildung sprechen, betont der Kandidat stattdessen. Wichtig sei eine «stabile Regierung», in der «vertrauensvoll» zusammengearbeitet werde.
Eine andere Wahl hat er ohnehin nicht. Denn sollten ihm sowohl SPD als auch Grüne angesichts der laut Hochrechnungen ebenfalls möglichen Mehrheit, für eine rot-grün-rote beziehungsweise grün-rot-rote Regierung die kalte Schulter zeigen, könnte sich bewahrheiten, was Medien bereits vor dem Urnengang als Szenario beschrieben: Wegner wäre trotz eines strahlenden Wahlsiegs mangels Koalitionspartnern am Ende ein «König ohne Land». (AFP)