Einst galt Schweden als Land der Zuflucht. Zahlreiche Menschen aus Krisenländern wie dem ehemaligen Jugoslawien, Afghanistan, Syrien, Irak und Somalia wurden aufgenommen. Doch inzwischen hat Schweden der Einwanderung den Kampf angesagt. Rigoros wurden die Bedingungen verschärft. Das Ergebnis: Erstmals verzeichnet das Land mehr Aus- als Einwanderer. Das verkündete die schwedische Ministerin für Migration, Maria Malmer Stenergard (43), nicht ohne Stolz. Demnach wanderten im Zeitraum von Januar bis Mai dieses Jahres 5700 mehr Menschen aus als ein.
Auch die Zahl der Asylanträge gehe nach und nach zurück. Die Zahlen sind seit 1997 nicht mehr so niedrig gewesen. Unter anderem wanderten immer mehr Menschen aus, die im Irak, in Somalia oder in Syrien geboren wurden. «Die Bemühungen der Regierung tragen ihre Früchte. Der Trend zu einer Einwanderung, die bewältigt werden kann, ist von entscheidender Bedeutung, wenn wir die Integration verbessern wollen», so die Ministerin Anfang August.
Wie kam es zum radikalen Wechsel in der Asylpolitik?
Der konservative Ministerpräsident Ulf Kristersson (60) war mit dem Vorhaben angetreten, die Zahl der Einwanderer deutlich zu reduzieren. Seine Minderheitsregierung löste 2022 die seit acht Jahren regierenden Sozialdemokraten ab. Um regieren zu können, ist er im Parlament auf die Unterstützung der ultrarechten Schwedendemokraten angewiesen.
Wieso geht die Regierung so konsequent gegen Migration vor?
Kristersson hatte die grassierende Bandengewalt in Schweden auf eine «verantwortungslose Einwanderungspolitik und eine gescheiterte Integration» zurückgeführt.
Schweden hat seit Jahren mit einer massiven Zunahme der Bandenkriminalität zu kämpfen. Die Banden liefern sich blutige Auseinandersetzungen um die Kontrolle über den Drogen- und Waffenhandel, regelmässig kommt es zu Schiessereien und Explosionen.
Welche Massnahmen hat die Regierung umgesetzt?
Zuallererst wurden die Grenzkontrollen verschärft. Der Zugang ins Land wurde damit erschwert. Wer es dann mal nach Schweden geschafft hat, bekommt nur vorübergehend eine Bewilligung. Der Status der Flüchtlinge wird alle drei Jahre neu überprüft. Gibt es keinen Grund, der gegen eine Rückkehr ins Heimatland spricht, erlischt der Schutzstatus. Es droht die Abschiebung. «Die Aussicht, möglicherweise nur auf Zeit aufgenommen zu werden, scheint Schutzsuchende abzuhalten, sofern andere Zufluchtsländer bessere Bedingungen bieten», sagt Bernd Parusel, ein schwedischer Migrationsforscher, zum «Tages-Anzeiger».
Gleichzeitig wurde ein finanzieller Anreiz geschaffen, das Land zu verlassen. Wer freiwillig wieder geht, bekommt umgerechnet 900 Franken. Auch der Familiennachzug wurde massiv erschwert. Die Familie darf nur folgen, wenn der Flüchtling für sie sorgen kann. Eine automatische Absicherung durch den Staat gibt es nicht. Mit einer Ausnahme: Flüchtlinge können innert der ersten drei Monate einen Nachzug beantragen, auch ohne den Nachweis, für sie sorgen zu können.
Welche Massnahmen sind in Planung?
Die Regierung tüftelt gerade an mehreren Gesetzen. Besonders umstritten ist das «Spitzel-Gesetz». Der Name ist Programm: Angestellte im öffentlichen Dienst sollen dazu verpflichtet werden, Flüchtlinge, die keine gültigen Papiere haben, zu melden. Ob es tatsächlich verabschiedet wird, ist aber noch unklar.
Daneben gibt es die Idee, Ausländer, die im Land leben, dazu bewegen, das Land zu verlassen. Erneut soll dafür ein finanzieller Anreiz geschaffen werden. Umgerechnet 800 Franken winken, wenn Migranten Schweden wieder verlassen. Die Reisekosten werden natürlich auch übernommen.
Die Folgen der harten Asylpolitik?
Die harte Politik gegen Ausländer und Flüchtlinge könnte für Schweden in der Zukunft zum Problem werden. Wenn mehr Menschen das Land verlassen, als einwandern, könnte das zu Leerstellen führen. Der Migrations-Experte Parusel zum «Tages-Anzeiger»: «Es gibt keine Daten darüber, wer genau das Land verlässt.» Das heisst: Auch viele Fachkräfte dürften unter den Menschen sein, die Schweden den Rücken kehren.
Die schwedische Regierung feiert die negative Einwanderungszahl als grossen Erfolg. Angesichts des Fachkräftemangels und der sinkenden Geburtenzahlen könnte sich eine Nettoauswanderung allerdings auch als Eigentor erweisen – vor allem, wenn unter den Abgereisten viele gut Ausgebildete sind. «Das ist genau das Problem: Es gibt keine Daten darüber, wer genau das Land verlässt», sagt Parusel. «Aus der Forschung weiss man aber, dass oft jene Migranten weiterziehen, die auch andernorts gute Möglichkeiten haben, also die Fleissigen und Ambitionierten.» Er glaubt, dass nicht nur die schärfere Migrationspolitik, sondern auch das negativere Bild des früher als humanitär und egalitär geltenden Schweden zu den niedrigeren Asyl- und Zuwanderungszahlen geführt habe. «Womöglich wirken auch die vielen Meldungen über hohe Kriminalitätsraten abschreckend.»