So wurde Biden zum US-Präsidenten vereidigt
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Die Inauguration:So wurde Biden zum US-Präsidenten vereidigt

Die Inauguration von Joe Biden war anders als viele vorher
Make America normal again

Nicht nur wegen Corona sehnen sich die US-Amerikaner nach dem normalen Leben. Ein US-Präsident, dem man trauen kann. Und der das Land wieder eint. Der neue US-Präsident Joe Biden (78) nimmt diese Herkulesaufgabe ernst.
Publiziert: 21.01.2021 um 00:58 Uhr
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Aktualisiert: 21.01.2021 um 14:45 Uhr
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Versöhnliche Töne: Der neue US-Präsident Joe Biden spricht während seiner Amtseinführung am US-Kapitol in Washington.
Foto: KEYSTONE/AP POOL
Nicola Imfeld (Washington), Daniel Riedel

Für einen Moment wirkte es so, als würde auch der Himmel über Washington aufatmen. Als Joe Biden (78) gestern Mittag am Kapitol zum 46. US-Präsidenten vereidigt wurde, blendete ihn die strahlende Sonne. Gutes Wetter hat alles andere als Tradition bei Inaugurationen: Seit der Vereidigung von Bill Clinton im Jahr 1993 goss es entweder wie aus Kübeln, oder die Massen froren bei Minusgraden in der US-Hauptstadt um die Wette.

Überhaupt war gestern alles anders. Statt um Punkt 12 Uhr Ortszeit wurde Biden schon zehn Minuten früher vereidigt. Fast so, als könnte das geplagte Land keine Sekunde länger auf einen neuen US-Präsidenten warten. Als Zeuge des historischen Moments stand nur der engste Machtapparat parat: enge Berater, alte Politfreunde und Ex-US-Präsidenten. Nahezu zur Fussnote mutierte der Fakt, dass mit Vorgänger Donald Trump (74) erstmals seit 1869 der amtierende US-Präsident nicht den Amtswechsel begleitete.

Geisterhauptstadt Washington

Auch dort, wo sonst Hunderttausende Menschen dem neuen Leader zujubeln, wehten US-Flaggen im kalten Wind. Frenetische Massen auf den Strassen suchte man vergeblich. Corona und die verheerende Kapitol-Stürmung machten Bidens grossen Tag zum Geister-Event unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen: 25'000 Soldaten der Nationalgarde, Secret-Service-Agenten und Dutzende Militärcheckpoints sicherten die Innenstadt Washingtons. Das Leben in der Stadt war bereits zu Wochenbeginn zum Erliegen gekommen, gestern ging dann gar nichts mehr. Geschäfte und Banken machten dicht. Einerseits aus Angst vor Ausschreitungen, andererseits, weil schlicht keine Kundschaft zugegen war.

Vereinzelte schafften doch den Weg in die Hauptstadt. Joey Holmesmeyer (29) ist zum Beispiel extra aus Boston angereist, um diesen «historischen Moment» mitzuerleben. Die vergangenen vier Jahre unter Trump beschreibt er als einzigen «Albtraum». Er ruft fast schon euphorisch: «Jetzt ist Amerika endlich wieder zurück!» Gustavo Castillo (25) ist von Los Angeles mit dem Auto quer durch das Land gefahren, um den Beginn der «neuen Ära» mitzuerleben, wie er sagt. Er ist grosser Fan von Bidens Vize Kamala Harris (56): «Ich freue mich extrem für sie. Endlich haben wir einen weiblichen Vizepräsidenten. Das ist Geschichte vor unseren Augen, das können wir uns doch nicht nehmen lassen!»

In seiner Rede trifft Biden den Nerv der Amerikaner

Die grosse Mehrheit der Amerikaner ist den Anweisungen der Behörden aber gefolgt. Die Regel: Wer feiern wollte, musste es daheim auf der Couch tun. Und trotzdem war grosse Erleichterung und der Wunsch nach einem politischen Neuanfang in jedem Gesicht auf der Tribüne des Kapitols und auf den Strassen der US-Hauptstadt spürbar. Die zermürbende Amtszeit seines Vorgängers Donald Trump hat Spuren hinterlassen. Der quälend lange Weg bis zum amtlichen Wahlsieg Bidens. Das Fanal am Kapitol, das jedem Amerikaner verdeutlichte, wie sehr die Demokratie im Land am Boden liegt.

In seiner Antrittsrede traf Biden diesen Nerv und versprach: «Ich werde ein Präsident für alle Amerikaner sein, und ich werde genauso für diejenigen kämpfen, die mich nicht unterstützt haben – wie für jene, die es taten.» Kraftvoll betonte er: «Dies ist ein Tag der Demokratie. Gefeiert wird nicht der Sieg eines Kandidaten, sondern der Sieg der Demokratie.»

Biden ahnt, dass er diverse Baustellen seines Vorgängers geerbt hat. In seiner Rede hob er daher immer wieder den Gedanken hervor, dass etwas repariert werden müsse, «was in der vergangenen Zeit schiefgelaufen ist». Am Ende sagte er einen Satz, an den sich die Welt nach vier Jahren Trump wohl erst mal wieder gewöhnen muss: «Ich gebe euch mein Wort, ich werde immer mit euch ehrlich sein!» Für dieses Versprechen gab es sogar Applaus von Trumps Stellvertreter Mike Pence (61), der entgegen seinem Chef an der Inauguration teilnahm.

Auf die Show folgt die Arbeit

Und ganz auf Show wurde trotz der widrigen Corona-Umstände dann auch nicht verzichtet: Biden-Supporterin Lady Gaga (34) sang die Nationalhymne. Die Pop-Ikone punktete nicht nur mit ihrer Performance, sondern setzte auch mit ihrem Outfit ein Zeichen: An ihrem langärmeligen schwarzen Oberteil prangte eine goldene Friedenstaube mit Zweig im Schnabel. Latina-Star Jennifer Lopez (51) wandte sich sogar auf Spanisch an die unzähligen Hispanics, die eine grosse Wählerschaft Bidens darstellten – und sehr unter Trumps rigider Einwanderungspolitik gelitten hatten.

Der erste Tag als US-Präsident endete dann für Biden untypisch mit Arbeit – und nicht auf dem traditionellen «Inauguration Ball» (auch wegen Corona abgesagt). Biden plante in seinen ersten Stunden im Weissen Haus gleich eine Welle von Dekreten, um so einige umstrittene Entscheidungen seines Vorgängers umzustossen. Die erste erfreuliche Nachricht dürfte ihn da schon erreicht haben: Die angedrohten Proteste seiner Gegner blieben landesweit aus.

Stattdessen kündigte Biden an, sofort den Hörer nach seiner Inauguration in die Hand zu nehmen, um die westlichen Verbündeten anzurufen. Seine Botschaft wird jener seines Anhängers ähneln, der den Weg nach Washington gefunden hat: «Amerika ist zurück!»

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