Die Brutstätten der neuen gefährlichen Corona-Mutationen sind bekannt. Die britische Mutation wütete in London, die südafrikanische tauchte am Ostkap auf und die brasilianische in der Millionenstadt Manaus. Jetzt hat auch Italien eine eigene Variante. Nicht etwa in einem Ballungszentrum, sondern in einem 5300-Seelen-Ort nur 15 Kilometer von der Tessiner Grenze entfernt (Blick berichtete).
Mitte Februar wurde die Gemeinde Viggiù in der Provinz Varese zum Hotspot. Die Corona-Infizierten wurden getestet. Einige der Sars-CoV-2-Proben landeten auch im mikrobiologischen Labor des Gesundheitsamtes ASST in Varese (I). Ziel war es, mit sogenannten Sequenzierungen herauszufinden, welches Coronavirus die Menschen von Viggiù reihenweise ansteckte. Die Test-Ergebnisse stellten fest: Die meisten Bewohner hatten die englische Variante oder die schottische im Körper.
Italienische Seniorin infizierte sich mit seltener Variante
Eine ältere Frau im Kreisspital jedoch verblüffte die Virologen. Sie trug eine völlig neue Variante. Im Testverfahren wurde entdeckt, dass die Struktur des Spike-Proteins völlig anders ist als die der anderen Virus-Varianten. Hatte sich die Variante in der kleinen lombardischen Gemeinde gebildet? Eine Corona-Sensation!
In Zusammenarbeit mit Kollegen der Insubrischen Universität und des Mailänder Spitals San Raffaele recherchierte der Leiter des Labors, Fabrizio Maggi, nach anderen Infektionen mit dieser Variante. Resultat des Covid-Krimis: Ein Thailänder, der aus Ägypten heimgekehrt war, hatte ein identisches Virus. Weitere Fälle sind weltweit nicht bekannt. Nur: Wie gelangte die Variante zur italienischen Seniorin, die schon lange nicht mehr gereist war?
Noch unklar, wie gefährlich der Fund wirklich ist
Die Variante also scheint sehr neu zu sein und hat, soweit bekannt, bislang nicht viel Schaden angerichtet. Noch nicht. Denn wie gefährlich die Variante von Viggiù ist, steht noch in den Sternen. «Die Struktur des Spike-Proteins, welche zum Andocken an die menschlichen Zellen dient, hat sich, wie berichtet wird, stark verändert. Wie weit sich dies auf die Ansteckungseigenschaften oder auf den Schutz durch Impfungen auswirkt, ist im Moment unklar», sagt der Tessiner Epidemiologe Andreas Cerny (64) gegenüber BLICK. Es brauche zusätzliche Untersuchungen, um die Bedeutung einzuschätzen.
Die laufen in Varese (I) auf Hochtouren. Im Labor konnte das Genom rekonstruiert werden. Jetzt wird im Reagenzglas beobachtet, wie es biologisch und epidemiologisch wirkt. Da viele der Einwohner in Viggiù im Tessin arbeiten und täglich pendeln, könnte die seltene Virus-Variante bereits in die Schweiz getragen worden sein.
Möglicherweise ist die Variante schwächer als befürchtet
Corona-Experte Fabrizio Maggi macht indes Mut. Zwar müsse man erst die Labor-Ergebnisse abwarten, so der italienische Virologe, «doch ich glaube nicht, dass wir Grund zur Sorge haben.» Im Gegenteil, die Virus-Variante könnte durchaus auch schwächer sein.
Die regionale Regierung jedenfalls reagierte sofort. Als die ersten Reihen-Infektionen auftraten, wurde Viggiù zur roten Zone erklärt. Innerhalb einer Woche folgten Massenimpfungen. Mittlerweile sind 80 Prozent der erwachsenen Bewohner des Grenzortes geimpft. Er könnte die erste coronafreie Gemeinde Italiens werden.