Zwei Meldungen sorgen derzeit in Deutschland für Aufregung. Wie der «Spiegel» unter Berufung auf Geheiminformationen berichtet, hat die CIA die deutsche Bundesregierung bereits im Sommer vor einem Anschlag auf die Ostseepipelines gewarnt. Mehrere «mit dem Sachverhalt vertraute Personen» bestätigten dies. Trotz der Warnung war eine Attacke scheinbar ungehindert möglich.
Wie der «Spiegel» weiter schreibt, ging man in der Bundesregierung einen Tag nach Bekanntwerden von Zwischenfällen bei den von Russland nach Deutschland führenden Gaspipelines Nordstream 1 und 2 von einer gezielten Attacke aus. Zur Warnung der CIA äusserte sich Deutschland nicht. Ein Regierungssprecher teilte mit, man nehme «zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten der Nachrichtendienste betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung».
«Die Bundesregierung wollte Realitäten nicht sehen»
Nur: Wieso hat die deutsche Regierung auf die Warnung der USA hin keine Schutzmassnahmen getroffen? Politikexperte Stefan Meister (47) sagt zu Blick: «Die Regierung hat nicht auf die Warnung des US-Geheimdienstes reagiert, weil sie kein Interesse daran hatte.»
Sie habe weiter günstiges russisches Pipelinegas beziehen wollen, da es wichtig für das deutsche Wirtschaftsmodell gewesen sei. «Die Industrie hat dafür Lobbyarbeit geleistet und von Russland bezahlte Akteure haben diese Politik in Berlin unterstützt.» Man habe weiter die Komfortzone nicht aufgeben wollen. Meister: «Die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel hat Realitäten nicht sehen wollen und einfach daran glauben wollen, dass es so weitergehen kann wie bisher.» Und: «Das ist eine Mischung aus Naivität, Opportunismus und Korruption.»
«Ich bereue meine Entscheidungen nicht»
Ebenfalls vermeldet der «Spiegel» am Donnerstag, dass Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel (68) den Entscheid zum Bau der Pipelines «nicht bereut». «Aus der damaligen Perspektive waren sie richtig», so Merkel. Sie begründet den Entscheid mit dem Ausstieg aus der Kernenergie. Es sei zudem «rational und nachvollziehbar» gewesen, leitungsgebundenes Gas auch aus Russland zu beziehen, da es billiger als aus anderen Gegenden der Welt ist.
Die Regierung hielt den Kurs auch, als Russland 2014 die Krim annektierte. Merkel sagt, Russland sei auch im Kalten Krieg ein verlässlicher Energielieferant gewesen. «Es war auch richtig, zum Ende meiner Regierungszeit den Kampf gegen den Klimawandel noch einmal zu beschleunigen.» Der «brutale Überfall» Russlands auf die Ukraine habe dann eine «Zäsur» verursacht.
«Man wollte die Kosten nicht auf sich nehmen»
Politikexperte Meister sieht das anders. «Natürlich hätten nach der Krim-Annexion die Alarmglocken läuten müssen», ist er im Gespräch mit Blick überzeugt. Er habe damals darüber geschrieben, es in Interviews argumentiert, auch in Beratungen deutlich gesagt, was auf einen zukomme, ebenso wie eine Reihe seiner Kolleginnen. «Aber man wollte die Kosten für einen Strukturwandel nicht auf sich nehmen, da das in der Bevölkerung hätte unpopulär sein können und bestimmte grosse deutsche Unternehmen massiven Einfluss auf die Politik hatten.»
Meister attestiert der deutschen Regierung im Hinblick auf die Gasimporte einen «Bankrott der Ostpolitik» und «Unverantwortlichkeit mit Blick auf die Schaffung von Abhängigkeiten sowie dem Verkauf von strategischer Infrastruktur wie Gasspeicher und Raffinerien an russische Staatskonzerne». Es handle sich um die Ignoranz von Fakten. «Alle, die heute sagen, wir haben das doch alles nicht gewusst, wollten es damals nicht wissen.»