Wegen der Enttäuschung an der Kriegsfront hat der Kreml den Kommandanten der russischen Truppen in der Ukraine ausgewechselt. Waleri Gerassimow (67) löst Sergej Surowikin (56) ab, dem das Kommando nach nur gerade drei Monaten wieder entzogen wurde.
Surowikin, der für seine Angriffe auf zivile Einrichtungen in Syrien berüchtigt ist, und deswegen auch «General Armageddon» genannt wird, hatte die Ukraine verstärkt mit Raketen und Drohnen unter Beschuss genommen.
Unter ihm wurden die Angriffe auf Kraftwerke, Öl- und Gasspeicher und andere kritische Infrastruktur zu einem festen Bestandteil der russischen Kriegsführung. Doch die Taktik ging nicht auf. Im Gegenteil: Unter ihm musste die russische Armee massive Verluste hinnehmen.
Als Held ausgezeichnet
Nun soll es Gerassimow richten. Der Militär geniesst auch bei seinen Feinden Respekt: Der Armeechef der Ukraine, Waleri Saluschny (49), sagte kürzlich in einem Interview mit dem «Economist», er sei mit der russischen Militärdoktrin aufgewachsen und habe dabei die Publikationen von Gerassimow studiert: «Ich habe alles gelesen, was er geschrieben hat. Er ist einer der Klügsten.»
Welche tödliche Strategie wird Putins neuer Kommandant in der Ukraine wählen?
Der 67-Jährige gilt als Kopf der hybriden Kriegsführung, der sogenannten «Gerassimow-Doktrin». Militärische Ziele sollen in Kombination mit anderen Massnahmen wie Cyberangriffen, informationstechnischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und kulturellen Mitteln erreicht werden. Ein wichtiges Instrument: Fake News.
Neben Verteidigungsminister Sergei Schoigu (67) ist Gerassimow der Mann, der die Invasion in die Ukraine geplant hatte. In den vergangenen Jahren war er auch für die Organisation des Armee-Einsatzes in Syrien zuständig und bekam dafür den Titel «Held der Russischen Föderation».
Er braucht eine schnelle Erfolgsmeldung
Zuoberst auf Gerassimows To-do-Liste dürfte die vollständige Einnahme von Soledar und Bachmut stehen, damit er in Russland eine Erfolgsmeldung verbreiten und die Soldaten motivieren kann. Sein definitives Ziel wird wohl die Einnahme der Hauptstadt Kiew sowie die Besetzung der ganzen Ukraine sein. Jedenfalls hatte er das bei der Planung des Krieges angestrebt.
Das Institute for the Study of War (ISW) gibt Gerassimow keine grossen Chancen. «Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Gerassimow die unrealistischen Erwartungen Putins an seine Leistung erfüllen kann», heisst es im Expertenbericht. Grund dafür sei, dass die Kommandostruktur durch Missplanung immer chaotischer werde.
Dank der USA überlebt
Gerassimow stieg in der Roten Armee schnell die Karriereleiter hoch und wurde 2012 von Präsident Wladimir Putin (70) zum Generalstabschef der russischen Streitkräfte und zum ersten stellvertretenden Verteidigungsminister ernannt.
Er soll 2014 in der Schlacht von Ilowajsk Generalkommandant gewesen sein. Bei den mehrtägigen Gefechten in der Oblast Donezk kesselten Kämpfer der Russen und der prorussischen Milizen ukrainische Soldaten ein. Dabei wurden über 1000 Ukrainer getötet.
Im April wäre Gerassimow fast einem Angriff der Ukrainer zum Opfer gefallen. Die Ukrainer hatten von einem geplanten Besuch an der Front Wind bekommen, wurden aber von den USA bei einem Attentat zurückgehalten, um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen.
Die ukrainischen Vorbereitungen waren allerdings schon im Gange, beim Anschlag starben Dutzende russische Soldaten. Gerassimow war – entgegen erster Vermutungen – nicht darunter.