Der Schein an der Front trügt
Die russischen Truppen schwächeln – aber nur ein bisschen

Das russische Militär musste in den letzten Wochen ziemlich einstecken. Komplett abschreiben kann man es allerdings nicht – in den Regionen Cherson und Donezk stellt sich eine neue Front zusammen.
Publiziert: 07.10.2022 um 13:22 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2022 um 15:26 Uhr
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Die ukrainische Armee hat in den vergangenen Wochen immer wieder Erfolge gegen Russland verbucht.
Foto: AFP
Chiara Schlenz

Das ukrainische Blau-Gelb weht wieder über rund 30 Ortschaften im Südosten des Landes – befreit von den russischen Besatzern unter Aggressor Wladimir Putin (70). Die vorrückenden ukrainischen Einheiten werden mit Freudentränen in den zurückeroberten Gebieten empfangen. Verluste musste die ukrainische Armee in den letzten Wochen kaum verkraften.

Es sind Neuigkeiten, die beinahe die russische Übermacht vergessen lassen, die noch vor wenigen Wochen einen dunklen, omnipräsenten Schatten über die Ukraine geworfen hat. Aber eben nur beinahe.

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Russen erobern Gebiete in Donezk zurück

Erst am Donnerstag verkündete der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow (56), dass russische Truppen nach mehreren Niederlagen die Siedlung Sajzewe in der Oblast Donezk eingenommen haben. Dabei seien auf ukrainischer Seite mehr als 120 Soldaten der 58. Panzergrenadier- und der 128. Gebirgssturmbrigade getötet worden.

Konaschenkow zufolge haben ukrainische Soldaten wiederholt versucht, die russische Verteidigungslinie im Norden des Gebiets Cherson zu durchbrechen. Sie seien dabei zurückgedrängt worden. Mehr als 100 Soldaten der ukrainischen Armee sollen dabei getötet worden sein. Zudem will Russland sechs Panzer und mehrere gepanzerte Fahrzeuge zerstört haben. Russische Nachrichtenagenturen berichten auch am Freitag von weiteren «Befreiungen» in Donezk. Die Ortschaften Odradiwka und Wessela Dolyna wurden von den Russen erobert. All diese Angaben konnten noch nicht unabhängig geprüft werden.

Und während die russischen Truppen im Rest von Donezk und Charkiw von den Ukrainern überrumpelt wurden, ist es ihnen in Cherson gelungen, sich auf einen ukrainischen Gegenschlag vorzubereiten, wie die «Bild» schreibt. Die Folge: weniger russische Verluste – beim Material, so wie beim Personal.

Russlands Armee hat sich zwischen den Flüssen Dnjepr und Inhulez etwa 30 Kilometer zurückgezogen, um nahe der Städte Cherson und Nowa Kachowka neue, stärkere Verteidigungslinien aufzubauen, so die Zeitung. Steht es also gar nicht so schlecht um die russische Front, wie angenommen – und ist sogar eine erneute Kehrtwende im Krieg möglich?

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Aktueller Aufwind für Russen kein langfristiger Trend

Die klare Antwort von Experten ist: Jein. Wie ETH-Militärstratege Marcel Berni (34) gegenüber Blick erklärt, sind die russischen Kräfte zwar aktuell dabei, Gegen- und Entlastungsangriffe im Donbass auszuüben – trotzdem habe die Ukraine im Osten und Süden des Landes immer noch die militärische Überhand.

«Ich glaube, die Ukrainer haben im Süden weniger starke Fortschritte gemacht als im Osten, weil das primäre Ziel der letzten Woche der Überraschungsangriff im Osten war», so Berni. Nun sei aber die Zeit gekommen, in der die ukrainischen Soldaten sich im Süden wieder in Angriffsstellung bringen. Denn: «Cherson ist als Juwel des Südens für beide Seiten unglaublich wichtig.» Um im Süden der Ukraine erfolgreich zu sein, müsste Putin laut Berni seine südliche Armee personell verstärken. «Und das wiederum ist riskant, denn so werden andere Frontabschnitte verwundbar.»

Und «Bild» merkt an: Auch wenn die russischen Truppen nicht so schwach sind, wie sie erscheinen – eine Entscheidungsschlacht mit offenem Ende in Cherson ist nicht zu vermeiden. Wann diese Schlacht stattfinden wird und wie schnell sie entschieden ist, bleibt offen. So glaubt auch Berni, dass ein schnelles Ende dieses Kriegs trotz der schwächelnden Russen und verlangsamten ukrainischen Gegenoffensive definitiv nicht in Sicht ist.

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