Der gebürtige Schaffhauser Vinz Koller lebt im berühmten kalifornischen Strandort Carmel, in dem Hollywood-Legende Clint Eastwood (90) einst Bürgermeister war. Am Montag spielte Koller selbst eine prominente Rolle: Er wählte den neuen US-Präsidenten Joe Biden (78).
Herr Koller, wie kommt ein Schaffhauser dazu, als Mitglied des Electoral College den amerikanischen Präsidenten wählen zu können?
Ich bin in Kalifornien hängen geblieben, nachdem ich 1986 in Monterey den Master gemacht hatte. Weil mir die Bush-Wahl nicht passte und ich politisch aktiv werden wollte, liess ich mich 2002 einbürgern. Schon vier Jahre später war ich Chef der örtlichen Demokraten, 2008 hat mich einer der kalifornischen Repräsentanten angefragt, ob ich bei der Obama-Wahl Elektor sein möchte. Das ist schon aussergewöhnlich und für mich eine grosse Ehre.
Am Montag haben die 538 Angehörigen des Electoral College in allen Bundesstaaten ihre Stimme abgegeben. Was war das für ein Gefühl?
Wir 55 Wahlleute von Kalifornien sind im Kapitol von Sacramanto vereidigt worden und haben – mit Maske und Social Distancing – unsere Wahlzettel ausgefüllt. Es war sehr emotional, vor allem, als wir um 17.30 Uhr erfuhren, dass dank unserer Stimmen die notwendige 270er-Grenze überschritten worden war und wir Biden somit zur definitiven Wahl verholfen hatten. Wir waren sehr erleichtert, es gab spontanen Applaus. Ein Schlussstrich unter die lang anhaltenden Querelen.
Sind Sie als Wahlmann jemals beeinflusst worden – oder bedroht?
Dieses Mal nicht. Vor zwölf Jahren hingegen wurde ich mit allen anderen Wahlleuten von Kalifornien angeklagt. Vorwurf: Obama sei gar kein Amerikaner, und wir hätten seine Geburtsurkunde nicht kontrolliert …
Ist Joe Biden nun definitiv Präsident, oder kann Trump mit einem Trick das Blatt noch wenden?
Der Fall ist gelaufen. Es haben genügend Republikaner angekündigt, die Wahl zu akzeptieren und einen allfälligen Einspruch, der am 6. Januar im Kongress noch möglich wäre, nicht zu unterstützen.
Und seine Klagen vor Gericht?
Das ist nicht mehr als Lärm und Geldmacherei. Trump führt eine zynische Kampagne, um die Unsicherheit in den USA weiter zu schüren. Das Traurige daran ist, dass es funktioniert. Die Menschen sind verunsichert und glauben, dass etwas Undemokratisches laufen könnte.
Wird Trump das Weisse Haus bei Bidens Amtsantritt am 20. Januar freiwillig verlassen?
Ich glaube, dass er noch vor Amtsende abtaucht und einfach weg sein wird. Vielleicht noch im Dezember. Er wird es vermeiden, sich bei Bidens Amtsantritt vor versammelter Presse als Verlierer zu blamieren. Möglich wäre, dass er zur gleichen Zeit eine Gegenveranstaltung organisiert, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Sie haben Joe Biden gewählt. Kennen Sie den neuen Präsidenten?
Nicht persönlich. Aber ich kenne seine Vize Kamala Harris, die ja aus Kalifornien stammt und die ich schon zweimal zu Anlässen eingeladen habe.
Wegen Bidens Alter könnte Kamala Harris schon bald selber sein Amt übernehmen. Wäre sie eine gute Präsidentin?
Als sie hier 2007 als Sprecherin für Obama auftrat, habe ich gesagt: Sie wird nach Obama das nächste schwarze Staatsoberhaupt. Sie ist eine sehr gute Frau, eine weibliche Obama mit einer ähnlichen Dynamik. Biden weiss, dass er auf sie vertrauen kann.
Die Spaltung in den USA ist durch die Wahlen noch grösser geworden.
Was passiert mit dem Land?
Eine Vorhersage ist sehr schwierig. Das Zweiparteiensystem ist ein System, das nicht auf einen Kompromiss drängt, sondern eher zu einer weiteren Polarisierung beiträgt. Biden ist der ideale Vereinigungskandidat, aber es braucht immer noch die Gegenpartei, die einlenkt.
Was passiert mit Trump? Wird er in vier Jahren wieder antreten?
Daran zweifle ich eher, da er Angst vor Niederlagen hat. Aber er wird ein Störsender bleiben.
Was ist zu erwarten?
Er hat als Präsident erlebt, was Macht heisst, wie er mit einem Tweet die Börse ins Wanken bringen kann, wie er mit einer Unterschrift jemanden begnadigen kann oder eben nicht. Das macht ihm Spass. Solche Macht möchte er weiterhin ausnützen. Die Frage ist, wie weit ihn die Republikaner noch unterstützen werden, aber zurzeit hat er sie ja noch erstaunlich stark in der Hand.
Werden Sie selber in vier Jahren wieder als Wahlmann dabei sein?
Es wäre mir eine grosse Ehre, aber das hängt davon ab, ob mich der Kongressabgeordnete wieder anfragt. Mein Engagement nutze ich jeweils auch, um kritisch über das Electoral College zu diskutieren. Das heutige System hat ja grosse Nachteile, wie man etwa vor vier Jahren sah, als Hillary Clinton zwar das Volksmehr, aber nicht das Elektorenmehr gewann.
Müsste man das Gremium abschaffen?
Eine Abschaffung ist praktisch unmöglich. Es bräuchte eine Verfassungsänderung, was in den USA selten vorkommt. Man muss es aber weiterentwickeln.
Der Schaffhauser Vinz Koller (57) hat als Mitglied des 538-köpfigen Electoral College schon dreimal den US-Präsidenten mitgewählt: 2008 stimmte er für Barack Obama (59), 2016 für Hillary Clinton (73) und jetzt für Joe Biden (78). Koller machte 1986 im kalifornischen Monterey einen Master in internationalen politischen Studien – und blieb. Heute macht er Auftragsstudien und Managementberatungen im öffentlichen Bereich. Er ist mit der Amerikanerin Victoria Beach (55) verheiratet und Stiefvater von Zibby (16).
Der Schaffhauser Vinz Koller (57) hat als Mitglied des 538-köpfigen Electoral College schon dreimal den US-Präsidenten mitgewählt: 2008 stimmte er für Barack Obama (59), 2016 für Hillary Clinton (73) und jetzt für Joe Biden (78). Koller machte 1986 im kalifornischen Monterey einen Master in internationalen politischen Studien – und blieb. Heute macht er Auftragsstudien und Managementberatungen im öffentlichen Bereich. Er ist mit der Amerikanerin Victoria Beach (55) verheiratet und Stiefvater von Zibby (16).