Auf einen Blick
Am Dienstag um 15.30 Uhr piepsten im Libanon fast 5000 Pager, Sekunden später explodierten sie. Zwölf Menschen wurden getötet, mehr als 2800 verletzt. Am Mittwochnachmittag flogen im Süden des Landes und in den südlichen Vororten der Hauptstadt Beirut zahlreiche Walkie-Talkies in die Luft: mindestens 14 Menschen verloren ihr Leben, mehr als 450 trugen zum Teil schwere Verletzungen davon.
Es war ein raffinierter, kaltblütiger Angriff auf Mitglieder der proiranischen Terrormiliz Hisbollah, die «Partei Gottes». Schnell wurde klar: Die kriegerische Attacke trägt die Handschrift des israelischen Geheimdiensts.
Der Mossad (hebräisch: das Institut) ist bekannt für seine von langer Hand geplanten Angriffe. Wie schaffte es das kleine Land, einen der effektivsten Geheimdienste der Welt aufzubauen?
Es begann mit der Jagd auf Nazis
Schattenkriege, Doppelagenten, Mord und Spionage – das Werk der Geheimdienste fasziniert die Welt seit eh und je. Hinter dieser Faszination aber steckt noch mehr: In den Operationen seiner Agenten erkennt man, so der deutsche Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom (70) gegenüber Blick, die geheimsten Interessen eines Staats.
Im Fall des Mossad, gegründet 1949 vom damaligen israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion (1886–1973), ist der Auftrag von Anfang an klar: Er soll die Verbrecher des Nationalsozialismus jagen. Nach der Shoah – dem millionenfachen Mord an europäischen Juden – versteckten sich die Komplizen der einstigen Machthaber des Dritten Reichs auf der ganzen Welt. Der Mossad soll sie aufspüren – und töten. 1960 entführten Israels Agenten Adolf Eichmann (1906–1962), einen der Hauptverantwortlichen der Deportation und Ermordung von Juden, in Argentinien. Zwei Jahre später wurde er hingerichtet.
Mit der Operation «Gottes Zorn» startete der Mossad 1972 nach dem Attentat auf die israelische Olympiamannschaft in München mit zwölf Toten einen Rachefeldzug gegen die Täter. In zwei Jahrzehnten tötete der Geheimdienst einen der drei Attentäter und mindestens zwölf Palästinenser, die an der Planung des Anschlags beteiligt gewesen sein sollen.
«Wenn jemand versucht, dich zu töten ...»
Seit seiner Gründung folgt der Mossad dem Prinzip «Wenn jemand versucht, dich zu töten, steh auf und töte ihn zuerst» – einem Satz aus dem wichtigen jüdischen Schriftwerk Talmud (Sanhedrin 72a). Mehr als 2700 Mal soll der Mossad Mordkommandos in Marsch gesetzt haben, wie der israelische Geheimdienstexperte Ronen Bergman (52) in seinem 2018 veröffentlichten Buch «Der Schattenkrieg» schreibt.
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Seither kamen Dutzende weitere dazu. Im Juli tötete der Mossad in der iranischen Hauptstadt Teheran den Hamas-Chef Ismail Hanija (†62). Diese Woche starben bis zu 37 Hisbollah-Mitglieder bei der Sprengstoff-Attacke im Libanon, wie die Terrormiliz selbst mitteilte.
Bei der Operation im Libanon steht vor allem eine Abteilung des Mossad im Fokus: «Unit 8200», die Cyberkrieg-Einheit des Diensts. Laut Informationen von Reuters soll sie im Wesentlichen aus Mitarbeitern Anfang zwanzig bestehen, die schon in der Oberstufe ihrer Schulzeit rekrutiert worden sind. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, Palästinenser im Gazastreifen und dem Westjordanland auszuspionieren – und dabei besonders raffiniert vorzugehen.
Geheimdienstexperte Schmidt-Eenboom erklärt: «Wie erfindungsreich die Unit 8200 ist, zeigte sich bereits im September 2009 während des Stuxnet-Virusangriffs auf den Iran.» Dieser setzte iranische Atomzentrifugen ausser Betrieb und arbeitete dabei mit dem US-Elektronikgeheimdienst NSA zusammen. Auch ein Cyberangriff auf Libanons Telekom-Unternehmen Ogero 2017 und die Vereitelung eines Angriffs der Terrormiliz IS auf ein ziviles Verkehrsflugzeug auf dem Weg von Australien in die Vereinigten Arabischen Emirate 2018 gehen auf das Konto der «Unit 8200».
Geht der Mossad zu weit?
Der Mossad gilt einerseits als besonders effizient – ist aber auch besonders umstritten. Mit seinen Aktionen wehrt sich Israel gegen seine oftmals feindlich gesinnten Nachbarstaaten, von denen einige dem Land offen mit Vernichtung drohen. Was Israel wiederum häufig als Rechtfertigung für sein brutales Vorgehen gegen feindliche Akteure dient.
Besonders in jüngster Zeit setzt der Mossad zunehmend auf offensive, nahezu militärische Aktionen. Angriffe wie am Dienstag und Mittwoch bringen die Frage auf: Ist Israels Geheimdienst im Libanon zu weit gegangen? Schliesslich wurden bei den Pager-Explosionen auch Zivilisten verletzt, darunter Kinder. Zudem fragen sich viele Beobachter, weshalb Israel ausgerechnet jetzt eine Eskalation der volatilen Lage im Nahen Osten riskiert.