Die zwei Explosions-Wellen im Libanon am Dienstag und Mittwoch hinterlassen ein mulmiges Gefühl. Am Dienstag explodierten Tausende Pager von Hisbollah-Mitgliedern, am Mittwoch waren es Walkie-Talkies, zudem gibt es Gerüchte über weitere elektronische Geräte wie Handys oder Solarpanels, die in die Luft gingen. Die Bilanz der Attacke: Über 3000 Verletzte und mehr als 30 Tote meldet das libanesische Gesundheitsministerium am Donnerstag.
Elektronische Geräte, die alle aus dem Alltag kennen, können zu potenziellen Sprengsätzen werden. Das macht Angst. Und beweist: Die hybride Kriegsführung – oder auch der Cyber-Krieg – ist längst kein Ding mehr aus schlechten «Science Fiction»-Filmen. Spionage, Sabotage – Explosion. Haben wir eine neue Stufe der hybriden Kriegsführung erreicht? Cybersecurity-Experte Frank Umbach (61) von der Universität Bonn schätzt die Situation für Blick ein.
Elektro-Geräte besonders anfällig für Angriffe
Sobald ein elektronisches Gerät mit einem Netzwerk verbunden ist oder eine Software benutzt, ist es anfällig für Angriffe von aussen. Bisher und in den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Sabotage- oder Spionagesoftwares. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die «Pegasus»-Software der israelischen Firma NSO. Wer sich das Programm auf dem Smartphone einfängt, wird unbemerkt zum gläsernen Überwachungsopfer. Die Pegasus-Anwender können Aufenthaltsorte in Echtzeit verfolgen, können Chats und Mails mitlesen und Anrufe mithören. Es sei «eine Waffe, gegen die es keine Verteidigung gibt», urteilten Experten von Google 2019. Wer über «Pegasus» verfügt, hat also eine digitale Superwaffe in Händen.
Im Fall der explodierenden Pager und Walkie-Talkies im Libanon war allerdings eine Kombination aus der Manipulation von Softwares und Netzwerken und dem aktiven Platzieren von Sprengstoffen in den Geräten für die massiven Explosionen verantwortlich. Experte Frank Umbach zu Blick: «Das gab es in diesem Ausmass noch nie. Und das wirft natürlich auch neue Bedrohungsszenarien auf.» In Sachen hybrider Kriegsführung – also Angriffen, die nicht Teil einer traditionellen Kriegsführung sind – ist somit ein neues Zeitalter angebrochen.
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Denn, so erklärt der Cybersecurity-Experte, solche Angriffe fanden bisher nur über einzelne Geräte statt. «Im Einzelfall können Geräte zur Waffe werden – meist, indem der Akku manipuliert wird.» Dies geschieht beispielsweise durch manipulierte Softwares. Das zeigte unter anderem die Tötung des Hamas-Bombenbauers Yahya Ayyash (1966–1996) durch Israel bereits 1996, als sein Handy in seiner Hand explodierte. «Bisher wurde immer über einzelne Geräte diskutiert – nie über eine solch enorme Menge wie im Libanon.» Nach Angaben der libanesischen Regierung gingen allein am Dienstag 5000 Pager in die Luft.
Müssen wir uns vor unserem Smartphone fürchten?
Macht diese Art der hybriden Angriffe – Software-Manipulation in Kombination mit Sprengstoffen – nun auch bei anderen Geheimdiensten dieser Welt Schule? Das könne man laut Experte Umbach nicht mit Sicherheit bejahen oder verneinen. Fakt ist aber: Was im Libanon passiert ist, bringt einen massiven strategischen und logistischen Aufwand mit sich. «In einem Fall wie bei den Pagern bedarf es eines grösseren geopolitischen oder strategischen Kontexts, sowie eines staatlichen Geheimdienstes, der diese Fähigkeiten hat. Ein solcher Aufwand wie mit den Pagern oder den Walkie-Talkies lohnt sich sonst nicht», schätzt Umbach die Lage ein.
Der Experte geht zudem nicht davon aus, dass Smartphones oder ähnliche Geräte zum Ziel solcher Attacken werden – ausser im direkten Kriegsfall. Ein Smartphone physisch oder durch Software zu manipulieren, ist eben nochmals aufwendiger als die Manipulation von Pagern oder Walkie-Talkies. Trotzdem fürchtet sich die Bevölkerung im Libanon genau davor: «Ich habe Angst, mein Handy anzufassen», sagt der 30-jährige Amir aus der Hafenstadt Tyros im Südlibanon zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA.