Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (64) findet klare Worte: «Er zog in den Krieg, weil er weniger Nato wollte. Er bekommt mehr Nato.» Der Adressat: Kremlchef Wladimir Putin (70). Am Dienstag ist das Spitzentreffen der Nato-Mitgliedsstaaten in der litauischen Hauptstadt Vilnius gestartet.
Zu Anfang des Gipfels hat Stoltenberg einen Vollerfolg verzeichnet: Nach einer langen Hängepartie ist Schwedens Weg in die Nato frei. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) hat nach monatelangem Widerstand zugestimmt, das für die Aufnahme Schwedens nötige Beitrittsprotokoll so bald wie möglich dem türkischen Parlament zur Zustimmung vorzulegen. Bereits im Herbst könnte Schweden das 32. Bündnismitglied werden.
Selenski nennt Vorgehen «absurd»
Wolodimir Selenski (45) hat ebenfalls auf grünes Licht in Vilnius gehofft. Das Ziel des ukrainischen Staatsoberhaupts: eine formelle Einladung zum Nato-Beitritt.
Daraus ist allerdings nichts geworden. Das Bündnis macht ihm in einer beim Gipfel beschlossenen Erklärung zwar Hoffnung: «Die Zukunft der Ukraine ist in der Nato.» Allerdings sei eine Einladung erst möglich, «wenn die Verbündeten sich einig und die Voraussetzungen erfüllt sind.» Dabei gehe es unter anderem um Reformen «im Bereich der Demokratie und des Sicherheitssektors».
Selenski machte seinem Ärger schon vor dem formellen Beschluss Luft: Dass kein Zeitrahmen für eine Einladung festgelegt werde, sei «beispiellos und absurd», schreibt er auf Twitter. «Für Russland ist das eine Motivation, seinen Terror fortzusetzen.»
Am Abend trat Selenski dann auf dem Lukiskiu-Platz in Vilnius auf und weibelte erneut für einen Beitritt seines Landes: «Die Nato gibt der Ukraine Sicherheit, die Ukraine macht die Nato stärker.»
Vereinfachter Beitritt für Ukraine
Obwohl die Ukraine keine Einladung bekam, demonstrierte die Nato, dass sie entschlossen hinter dem kriegsgebeutelten Land steht. Stoltenberg kündigte an, dass ein Nato-Ukraine-Rat ins Leben gerufen werde, um eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften der Ukraine und des Bündnisses zu ermöglichen.
Zudem wolle die Nato der Ukraine einen vereinfachten Beitritt ermöglichen. Das übliche Heranführungsprogramm für neue Mitglieder werde der Ukraine erspart. Stoltenberg: «Das ist ein starkes Paket für die Ukraine und ein klarer Weg hin zur Mitgliedschaft in der Nato.»
Derweil bekräftigten Deutschland und Frankreich ihre Unterstützung mit neuen Waffenlieferungen. Zum Auftakt des Gipfels versprach der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (65) ein neues Waffenpaket im Wert von 700 Millionen Euro zu. Unter anderem sollen weitere 40 Schützenpanzer vom Typ Marder, 25 Kampfpanzer Leopard 1A5 und fünf Bergepanzer aus Industriebeständen sowie zwei Abschussgeräte für Patriot-Flugabwehrraketen der Bundeswehr geliefert werden.
Aus Frankreich gibt es indes Marschflugkörper: «Wir haben entschieden, neue Raketen zu liefern, die der Ukraine Schläge in der Tiefe erlauben», sagte der französische Präsident Emmanuel Macron (45) in Vilnius. Nach Élysée-Angaben handelt es sich dabei um Marschflugkörper des französisch-britischen Typs Scalp/Storm Shadow.