Bricht Ankara mit Moskau? Türkei-Experte ordnet die Lage ein
Erdogans neue Freundschaft bringt Putin zum Kochen

Gleich dreimal hat der türkische Präsident Erdogan den Kreml in wenigen Tagen verärgert. Was hat er vor? Eine Einschätzung von Türkei-Experte Ali Sonay.
Publiziert: 10.07.2023 um 17:24 Uhr
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Aktualisiert: 10.07.2023 um 18:30 Uhr
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Ende der vergangenen Woche empfing Erdogan den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski.
Foto: keystone-sda.ch
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Guido FelderAusland-Redaktor

Im Ukraine-Krieg wusste man lange nicht, auf welcher Seite der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) steht. Er kritisierte die Sanktionen gegen Russland, traf Präsident Wladimir Putin (70) mit dem russischen Verbündeten Iran und gratulierte dem Kreml-Boss am 7. Oktober 2022 als einer von wenigen Staatschefs zum 70. Geburtstag. Auf der andern Seite lieferte die Türkei der Ukraine Kampfdrohnen.

Erdogan versuchte sich auch als neutraler Vermittler und brachte tatsächlich einen Getreidedeal zustande – dank diesem können ukrainische Ernten nach Afrika verschifft werden.

Doch jetzt scheint Erdogan Farbe zu bekennen – pro Ukraine und gegen seinen «werten Freund», wie er Putin erst noch nannte! Gleich dreimal hat er dem Kreml-Chef in den vergangenen Tagen eines ausgewischt.

Drei Geschenke an die Ukraine

  • Am Freitag empfing Erdogan den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (45). Dabei überraschte er seinen Besucher mit der deutlichen Aussage: «Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Ukraine die Mitgliedschaft in der Nato verdient.» Ein Stich ins Herz von Putin, dessen grösstes Feindbild das westliche Militärbündnis ist.

  • Selenski kehrte am Samstag vom Besuch nicht alleine nach Hause zurück. Erdogan liess fünf Kämpfer frei, die das Stahlwerk Asowstal verteidigt hatten und in russische Gefangenschaft gerieten. Russland hatte die Soldaten der Türkei übergeben – mit der Abmachung, ihnen später den Prozess zu machen. Putin-Sprecher Dmitri Peskow (55) schimpfte: «Die Rückkehr der Asow-Kommandanten aus der Türkei in die Ukraine ist nichts anderes als ein direkter Verstoss gegen die bestehenden Vereinbarungen.»

  • Die Türkei plant offenbar weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. In einem Interview vergangene Woche sagte Oleksiy Hromov, Sprecher des ukrainischen Generalstabs, dass ihnen die Türkei Panzerhaubitzen des Typs T-155 Firtina versprochen habe.

Wut im Kreml

Am Sonntag glühten zwischen Moskau und Ankara die Drähte. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow (73) übermittelte seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan (55) den Unmut des Kremls. Das russische Aussenministerium teilte anschliessend mit, dass es Ankara auf den «destruktiven Kurs der fortgesetzten Lieferung von militärischer Ausrüstung an das Kiewer Regime aufmerksam» gemacht habe und dies zu «negativen Konsequenzen» führen könne. Eine klare Drohung!

Dass Erdogan Putin jetzt derart brüskiert, dürfte einen besonderen Grund haben. Ali Sonay (39), Türkei-Experte an der Uni Bern, sagt zu Blick: «Erdogan hat die Schwächung Putins, vor allem im Rahmen des Wagner-Aufstandes, berücksichtigt und nutzt nun sehr wahrscheinlich die Möglichkeit aus, um Russland in der Ukraine und auch an anderen Schauplätzen unter Druck zu setzen.»

Bald kommt Putin

Dass Erdogan ganz mit dem Kreml bricht, glaubt Sonay nicht. «Er hat sich keineswegs entschieden, ausschliesslich die Ukraine zu unterstützen. Er hält an der Position, mit beiden Seiten des Konflikts den Dialog zu halten, fest.» So stehe bald auch wieder ein Besuch Putins in der Türkei bevor.

Ali Sonay sieht Erdogan immer noch als möglichen Vermittler. «Erdogan ist nach wie vor in Kontakt mit beiden Seiten. Er hat eine Einflussposition, die zurzeit wenige Staaten haben.»

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