Das sind die Auswirkungen des Koalitionsvertrags
Neue Regierung in Berlin ist ein Glücksfall für die Schweiz

CDU/CSU und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Von der Schweiz ist darin zwar nicht die Rede, aber sie wird den Machtwechsel in Deutschland zu spüren bekommen – vor allem positiv. Aber nicht nur.
Publiziert: 12.04.2025 um 17:27 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2025 um 18:55 Uhr
Politologe Klaus Armingeon ist überzeugt: Die Aufweichung der Schuldenbremse wird die Wirtschaft – im Bild die Baumaschinenmesse in München (D) – massiv ankurbeln.
Foto: IMAGO/Wolfilser

Darum gehts

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Guido FelderAusland-Redaktor

CDU und CSU haben sich diese Woche auf einen Koalitionsvertrag mit der SPD geeinigt. Das 144 Seiten dicke Programm der neuen deutschen Regierung wird laut dem künftigen Kanzler Friedrich Merz (69) Deutschland «stabil halten sowie sicherer und wirtschaftlich wieder stärker machen».

Ein zentrales Thema des Papiers mit dem Titel «Verantwortung für Deutschland» ist die Zeitenwende in der Migration. Deutschland will demnach in Zukunft noch striktere Grenzkontrollen durchführen, was sich auf die Schweiz auswirken dürfte. Ein weiterer Punkt jedoch wird noch grössere – und vor allem positive – Folgen für die Schweiz haben.

Zuerst das Negative: Die zukünftige Regierung wird die schon im Oktober 2023 eingeführten Grenzkontrollen «bis zu einem funktionierenden Aussengrenzschutz» der EU fortsetzen. Dieses Verfahren und die damit verbundenen Rückstaus führten vor allem im Raum Basel zu Wartezeiten – auch für Automobilisten, die gar nicht über die Grenze fahren wollen. Ob das Verkehrschaos noch grösser wird, hängt vom zukünftigen Ausmass der Kontrollen ab.

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Klaus Armingeon ist überzeugt: Die Aufweichung der Schuldenbremse wird die Wirtschaft – im Bild die Baumaschinenmesse in München (D) – massiv ankurbeln.
Foto: IMAGO/Wolfilser

Gilbert Casasus, emeritierter Professor für Europastudien der Uni Freiburg, geht davon aus, dass Bern und Berlin im Bereich der Migration auf politischer Ebene eine engere Zusammenarbeit anstreben werden. Casasus, selbst schweizerisch-französischer Doppelbürger: «Daher ist mit einer grenzüberschreitenden Beschleunigung der Asylverfahren in Deutschland und in der Schweiz zu rechnen.»

Investitionen beflügeln die Schweiz

Die grössten Auswirkungen auf die Schweiz – sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf politischer Ebene – sind aber von der Aufweichung der Schuldenbremse zu erwarten. Davon ist der Politologe Klaus Armingeon überzeugt, assoziierter Forscher an der Uni Zürich. Armingeon, ebenfalls schweizerisch-deutscher Doppelbürger: «Die Aufhebung dieser Sperre führt dazu, dass Deutschland vor allem in den Bereichen Militär, Infrastruktur und Umwelt deutlich mehr Geld ausgeben wird.»

Insgesamt werden so Investitionen von bis zu 500 Milliarden Euro möglich. Die Folgen: auf der einen Seite mehr Schulden, auf der anderen stärkeres Wirtschaftswachstum und sinkende Arbeitslosigkeit. Für die Schweiz und deren Wirtschaft sei dies eine erfreuliche Nachricht, meint Armingeon. Denn Deutschland sei nicht nur ein sehr wichtiger Partner für die Schweiz, sondern auch sonst eng mit ihr verflochten. Armingeon: «Geht es Deutschland gut, geht es auch der Schweiz gut.»

Neue Diskussionen über Schweizer Schuldenbremse?

Auch auf politischer Ebene könnte die deutsche Schuldenlast in der Schweiz zum Thema werden, meint Armingeon. «Dass Deutschland, das die Schuldenbremse eigentlich erfunden und der EU aufgedrückt hat, dieses Hebelsystem jetzt aufhebt, kann ein Signal über die Landesgrenzen hinaus sein und in der Schweiz zu neuen Diskussionen über die Abschaffung führen.»

Hierzulande gerät die 2003 eingeführte Schuldenbremse von linker Seite immer wieder unter Beschuss, weil sie den Bund zur Sparsamkeit zwingt und damit Investitionen verhindert.

Aussenminister ist prägend

Wichtig für die Zusammenarbeit der beiden Länder ist auch die Frage nach dem Aussenminister, den erstmals seit 60 Jahren wieder die CDU stellt. Noch steht nicht fest, wer den Posten übernehmen wird. Casasus: «Es hängt viel vom Einsatz und Verhalten des zukünftigen deutschen Aussenministers ab, da die Schweiz oft im Abseits steht.»

Würde es sich um einen engagierten Proeuropäer handeln, stünde ihm der Bundesrat eher skeptisch gegenüber. «Ein Proamerikaner könnte bei der Schweizer Regierung auf mehr Zustimmung stossen – nicht zuletzt, weil Bern anhand der weltpolitischen Entwicklungen offensichtlich den direkten Draht zu Washington sucht und versucht, dies sowohl innen- als auch aussenpolitisch als Erfolg zu verkaufen.»

Minister werden bald bestimmt

Dass die Union und die SPD den Koalitionsvertrag noch vor Ostern unter Dach und Fach gebracht haben, hat vor allem mit Druck von aussen zu tun. Die instabile Weltlage zwang die verfeindeten Parteien, Kompromisse einzugehen. Die Union setzte ihren harten Migrationskurs zu einem grossen Teil durch, dafür konnte die SPD sieben der insgesamt 17 Ministerien an sich reissen, darunter das gewichtige Finanzministerium. Die CDU bekommt ebenfalls sieben Ministerien, die restlichen drei – auch das für die Migrationswende zuständige Innenministerium – gehen an die CSU.

Das Dokument dient als Grundlage für die neue Regierung, deren Kanzler Merz in der Woche vom 5. Mai gewählt werden soll. Wen er als Minister einsetzen wird, ist noch offen – zunächst müssen die Koalitionsparteien den Vertrag absegnen. Die CSU-Spitze hat dies bereits einstimmig beschlossen, die CDU wird am 28. April entscheiden, die SPD – auf digitalem Weg – bis zum 29. Mit den Namen der Minister ist frühestens am 30. April zu rechnen.

Ob sich mit der neuen Regierung die Beziehung zwischen Bern und Berlin generell verändern wird? Armingeon glaubt, dass der Zug auf den gleichen Schienen weiterfahren wird. «Ob unter Kanzler Scholz oder Merz: Die Schweiz stösst in Deutschland immer auf grossen Zuspruch.»


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