Bier und Wein sind schon reichlich geflossen, da ertönt auf einmal höhnisches Gelächter. Zielscheibe des Spotts ist Kanzler Olaf Scholz, dessen erstes Interview nach der schmachvollen Wahlniederlage auf Grossleinwand projiziert wird.
Das war am 23. Februar, dem Tag der Bundestagswahl, im Berliner Konrad-Adenauer-Haus, der Zentrale der CDU. Spitzenkandidat Friedrich Merz hatte soeben seinen Pflichtsieg eingefahren. Trotz ihres historischen Tiefstwerts von 28,5 Prozent und einer auf 20 Prozent erstarkten AfD suhlten sich die Christdemokraten im Erfolg. Während die konkurrierende SPD vom Stimmvolk mit 16,4 Prozent ins Off befördert worden war, warf sich Merz schon in die Pose des Regierungschefs und erhob sein Glas. Ein Prosit auf den Politikwechsel!
Heute, 35 Tage später, herrscht Katerstimmung. Und aus Schweizer Sicht grosses Staunen darüber, mit welchem Machtanspruch die Megaverlierer der Sozialdemokraten derzeit durch die Koalitionsgespräche marschieren.
Es tut fast weh, mit anzusehen, wie die an der Urne gescheiterten Chefgenossen Lars Klingbeil und Saskia Esken den Wahrscheinlich-bald-Kanzler Merz am Gängelband herumführen und ihre Agenda vorantreiben: Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Erhöhung der Reichensteuer, Erhöhung der Steuer auf Kapitalerträge. Von den Grünen hat sich Merz den Support für eine Lockerung der Schuldenbremse mit 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz erkauft. «Obwohl die Mehrheit der Deutschen für eine Politik rechts der Mitte gestimmt hat, wacht sie in Rot-Grünland auf», diagnostiziert die «Welt» bitter.
Angesichts von so viel Biegsamkeit stehen unsere helvetischen Politiker wie die Eichen.
Nun muss der CDU-Vorsitzende liefern. Und wie durch ein Wunder erfuhr die «Bild»-Zeitung just dieser Tage vom angeblichen «Geheimplan» für eine europaweite «Migrations-Allianz», den Friedrich Merz mit Schweizer Beteiligung ausgeheckt habe. Ob es sich dabei um den versprochenen Wechsel oder bloss um Placebo-Politik handelt, wird entscheidend sein – für Merz persönlich, für unser nördliches Nachbarland, für ganz Europa.
Gut möglich, dass der Alkohol nach der nächsten Wahl in der AfD-Zentrale statt im Konrad-Adenauer-Haus fliessen wird.