Am 14. Juni sank ein Fischkutter in internationalen Gewässern vor der Küste Griechenlands. An Bord des Bootes befanden sich schätzungsweise 400 bis 750 Migranten. Bei den Such- und Rettungsmassnahmen der griechischen Behörden konnten 104 Überlebende und 82 Leichen geborgen werden, Hunderte weitere werden vermisst und gelten als tot.
Am 18. Juni verschwand das von Ocean Gate betriebene Tauchboot Titan in internationalen Gewässern des Nordatlantiks vor der Küste von Neufundland, Kanada. Das Tauchboot befand sich auf einer touristischen Expedition zur Besichtigung des Titanic-Wracks und hatte fünf Personen – davon drei Milliardäre – an Bord. Nach aufwendigen Rettungsversuchen am 22. Juni dann die traurige Gewissheit: Die fünf Personen an Bord der Titan sind verstorben.
Zwei schreckliche Tragödien, von denen aber nur eine auf gewaltiges Interesse stösst. Wenn man sich in den Medien umschaut, entsteht schnell der Eindruck: Das Leben von drei Milliardären ist mehr Aufmerksamkeit, mehr Rettungsversuche, mehr Geld wert als das von Hunderten Migranten.
U-Boot-Tragödie hat das Zeug zum Thriller
Woran liegt es, dass wir bei der Suche nach fünf abenteuerlustigen Milliardären gebannt mitfiebern, das Massengrab im Mittelmeer uns aber scheinbar kaltlässt?
Sensationen generieren Aufmerksamkeit. Ein tödliches U-Boot-Unglück kommt vielleicht alle paar Jahrzehnte vor. Und die Geschehnisse rund um die fünf Vermissten ähneln einem Thriller: Die Ungewissheit hat uns nicht losgelassen. Schon als die erste Vermisstenmeldung veröffentlicht wurde, war klar, dass es ein Rennen gegen die Zeit war. Man konnte rätseln, diskutieren und mitfiebern. Manchmal wurde die Grenze der Geschmacklosigkeit überschritten, schliesslich geht es um fünf Menschenleben, die ausgelöscht wurden.
Da können die immer wiederkehrenden Unglücke mit namenlosen Migranten nicht mithalten – so zynisch das klingen mag. Denn neu sind die Schreckensmeldungen aus dem Mittelmeer leider nicht: Schon vor den jüngsten Todesfällen war bekannt, dass bei der Überfahrt auf dem Mittelmeer in diesem Jahr bisher mindestens 1039 Menschen ertrunken sind. Die tatsächliche Zahl dürfte weit höher liegen, viele Unglücke werden nie erfasst. Die Internationale Organisation für Migration geht davon aus, dass seit 2014 insgesamt mehr als 27’000 Migranten im Mittelmeer verschwunden sind. Resultat: Wiederkehrende Schreckensmeldungen machen ohnmächtig. Und verleiten darum zum Wegschauen.
Zwei Unglücke, die nicht vergleichbar sind
Man kann die beiden Ereignisse nicht miteinander vergleichen. Und man soll Tote nicht gegeneinander ausspielen. Verwerflich ist es nicht, dass wir alles über das fatale U-Boot-Unglück erfahren wollen. Verwerflich ist es aber, dass wir den Hunderten Migranten, die im Mittelmeer ertrunken sind, nicht die gleiche Anteilnahme entgegenbringen wie den fünf Menschen im U-Boot.