Darum verloren die Amerikaner
Der Afghanistan-Krieg war nur noch Geschäft

Amerika, heisst es in Afghanistan, hat den Krieg verloren, weil der Krieg zum Geschäft wurde. Private Vertragspartner der USA gingen als die grossen Profiteure aus dem Krieg hervor. Sie hatten keinen Krieg zu gewinnen, sondern das grosse Geld zu machen.
Publiziert: 03.01.2022 um 03:27 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2022 um 07:23 Uhr
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Am 30. August 2021 verliess der letzte US-Soldat Afghanistan an Bord eines Truppentransporters.
Foto: Keystone
Daniel Kestenholz

Die grossen Profiteure des Afghanistan-Kriegs waren die sogenannten «contractors»: Vertragspartner, die im Auftrag der USA Sicherheits- und andere Dienste übernahmen. Wie Berichte jetzt aufzeigen, machten diese privaten Auftragnehmer das grosse Geschäft mit dem Krieg.

Amerika war nach den 9/11-Terroranschlägen mit Versprechen in Afghanistan einmarschiert. Manche gingen in Erfüllung – Frauen genossen wieder mehr Rechte, Religionseiferer terrorisierten nicht länger im Namen von Allah. Doch besser wurde das Leben für die meisten Afghanen nicht. Seit der Hals-über-Kopf-Flucht der Amerikaner im August aus Afghanistan herrschen wieder Hunger und Not am Hindukusch. Die Besatzer hatten es nicht vermocht, dem Land den versprochenen Frieden und Wohlstand zu bringen.

Darauf hatten es die Amerikaner offenbar auch nicht mehr abgesehen, wie neue Untersuchungen aus den USA aufzeigen. Insbesondere in der späteren Phase des Krieges schien es nach einem Bericht des konservativen «Wall Street Journals» vorab darum gegangen zu sein, Geld an militärische Auftragnehmer fliessen zu lassen. Insgesamt 14 Billionen Dollar kosteten die Kriege in Afghanistan und auch im Irak. Laut der Zeitung floss «ein Drittel bis die Hälfte» dieser Gelder an private Auftragnehmer.

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Italienische Ziegen für Afghanistan

«Wer gewann in Afghanistan? Private Vertragspartner.» So lautet der Titel der Reportage, die eine Reihe von Unternehmern aufzählt, die mit dem Krieg das grosse Geld machten. Darunter ein kalifornischer Geschäftsmann, der in Kirgisistan eine Bar betrieb. Er startete ein Treibstoffgeschäft, das Milliardeneinnahmen einbrachte. Oder ein junger afghanischer Übersetzer verwandelte ein Business zur Versorgung der Streitkräfte mit Bettlaken in ein Geschäftsimperium, zu dem auch ein Fernsehsender und eine inländische Fluggesellschaft gehören.

Oder zwei US-Nationalgardisten aus Ohio: Sie gründeten eine Firma, die dem Militär afghanische Dolmetscher zur Verfügung stellte. Das Unternehmen wurde zu einem der grössten Partner der US-Streitkräfte. Dokumenten zufolge erhielt sie Staatsaufträge im Wert von fast vier Milliarden Dollar.

Dabei nahmen auch Korruption und Veruntreuung überhand. So gab das US-Verteidigungsministerium sechs Millionen Dollar für ein Projekt aus, um neun Ziegen aus Italien zu importieren. Dies sollte den afghanischen Markt mit Kaschmirwolle ankurbeln. Das Projekt erreichte «nie den gewünschten Umfang», heisst es. Auch für den Bau von Strassen flossen Milliarden. Schliesslich wurden gerade mal 160 von geplanten 2000 Kilometern gebaut. Das Geld floss dennoch.

Krieg wurde zum Geschäft

Eine US-Sonderuntersuchung stellte fest, dass nur 15 Prozent der 7,8 Milliarden Dollar, die für Entwicklungsprojekte vorgesehen waren, tatsächlich ausgegeben wurden. Der Rest des Geldes floss in unbekannte Taschen. Zudem fehlte den privaten Unternehmern der Kampfgeist. Sie waren in Afghanistan, um Geld zu verdienen, und überhaupt wurde der Krieg immer unpopulärer. Der Abzug bahnte sich an. Man versuchte, noch das letzte Geld aus den Kriegsbudgets herauszuquetschen.

Das führende afghanische Newsportal «Tolonews» hat den Bericht des «Wall Street Journals» mit all den Vorwürfen unter die Lupe genommen. Das Fazit der Afghanen fällt vernichtend aus. Die Niederlage der USA in Afghanistan sei darauf zurückzuführen, dass der Krieg nur noch Geschäft war.

«Einer der Hauptgründe für den Zusammenbruch der afghanischen Regierung und die Niederlage der USA in Afghanistan war, dass der Krieg in Afghanistan zu einem Geschäft wurde» sagt der politische Analyst Muqadam Ameen. Korruption frass sich in den höchsten Kreisen fest. Selbst Sold der afghanischen Streitkräfte wurde veruntreut. Die Taliban hatten leichtes Spiel, gegen einen ausgehungerten Gegner ohne Kampfmoral vorzugehen.

Taliban reagieren auf Bericht

Das «Wall Street Jounal» zitiert auch einige US-Militär, wonach die die Vergabe von Aufträgen an private Vertragspartner für die Operationen unerlässlich sei. «Wenn man keine Wehrpflicht hat und einen Krieg mit einer Freiwilligenarmee führt, die kleiner ist als in früheren Konflikten, muss man so viel an Auftragnehmer auslagern, um seine Operationen durchzuführen», sagte der Zeitung Christopher Miller (56), der letzte Verteidigungsminister der Trump-Regierung.

Der ehemalige Pentagon-Sprecher Rob Lodewick: «Die engagierte Unterstützung durch viele Tausende von Auftragnehmern für die US-Militärmissionen in Afghanistan hat viele wichtige Aufgaben erfüllt, unter anderem die Entlastung der uniformierten Streitkräfte für lebenswichtige Kriegseinsätze.»

Einsätze, die offenbar nicht Afghanistan zugute kamen. Auch die neue afghanische Regierung des Islamische Emirats reagierte auf den Bericht und erklärte, dass das Land trotz der grossen Geldsummen, die in Afghanistan geflossen seien, nicht wieder aufgebaut wurde: «Es ist viel Geld nach Afghanistan geflossen, aber es wurde nicht für die Entwicklung verwendet», sagte Inamullah Samangani, stellvertretender Regierungssprecher in Kabul. Die USA hätten über Afghanistan hinweg entschieden. «Die frühere Regierung war sehr schwach.»

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