Knall in der ukrainischen Regierung: Wolodimir Selenski (45) gibt seinem Armeechef Walery Saluschni (50) den Laufpass. Der gelernte Maschinenbauer war seit 2021 Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte und hat im Krieg gegen die russischen Angreifer mehrere Grosserfolge erzielt. Dazu gehört insbesondere die Verteidigung der Hauptstadt Kiew zu Beginn des Krieges.
Zuletzt aber kam es zwischen Selenski und seinem General zu offenen Auseinandersetzungen. Gerüchte über Saluschnis Absetzung machten seit gut einer Woche die Runde. Am Dienstagabend wars soweit: Der ukrainische Präsident dankte seinem abgesetzten General auf dem Nachrichtendienst Telegram für «jeden Sieg, den wir gemeinsam errungen haben» und teilte mit, dass er Saluschni durch Alexander Sirski (58), den bisherigen Befehlshaber der ukrainischen Landstreitkräfte, ersetzt habe.
Saluschnis Absetzung zeigt drei unangenehme Wahrheiten für die Ukraine.
Selenski ist politisch angeschlagen
Einst galt der frühere TV-Star und Jurist Selenski als schier unantastbar. International avancierte der seit 2019 amtierende ukrainische Präsident zum Über-Politiker, dem von Warschau bis Washington der rote Teppich ausgerollt wurde. Zu Hause in der Ukraine aber sanken seine Zustimmungswerte zuletzt rapide.
Ganz anders sahen die Umfragen zu General Saluschni aus. Während zuletzt gerade noch 62 Prozent der befragten Ukrainer angaben, dass sie auf Selenski zählen würden, sprachen 88 Prozent der Befragten Saluschni ihr Vertrauen aus. Der General veröffentlichte Meinungsbeiträge und schien sich als politische Figur für die eigentlich für dieses Jahr angesetzten Präsidentschaftswahlen ins Spiel zu bringen.
Das passte Selenski offenkundig nicht. Wahlen will er dieses Jahr keine durchführen lassen. Oleksiy Danilow (61), der Chef von Selenskis Kriegsrat, betonte zuletzt im Interview mit «Blick», es sei «ein Ding der Unmöglichkeit», mitten im Krieg politische Urnengänge zu veranstalten.
Saluschni hatte Recht mit seiner «Stillstand»-Behauptung
Im November behauptete Saluschni in einem Interview mit dem britischen Magazin «The Economist», an der Kriegsfront herrsche «Stillstand» und die Ukraine laufe Gefahr, in die Falle eines ewig dauernden Krieges zu laufen. Selenski dementierte diese Behauptung heftigst – auch bei seinem Auftritt am Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar.
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Fast zwei Jahre nach Kriegsbeginn aber muss auch Selenski eingestehen, dass es «Veränderungen an der Basis unserer Verteidigung» brauche, wenn das Jahr 2024 ein erfolgreiches werden soll. Die Munitionsknappheit und die auf der Kippe stehenden Hilfe des mit Abstand wichtigsten Verbündeten, der USA, zwingen die Ukraine zum Umdenken. Der Stillstand ist Realität. Damit er nicht in einen russischen Erfolg umschlägt, braucht es in den Augen von Selenski offenbar neue Köpfe und Kräfte an der Spitze der grössten Verteidigungsaktion in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die Ukraine braucht eine Riesen-Überraschung, um noch eine Chance zu haben
Die Situation an der Front in der Ukraine gleicht immer mehr den Grabenkämpfen im Ersten Weltkrieg. Beide Seiten sitzen fest, kommen nicht vorwärts und verwenden ihre Energie auf den Ausbau ihrer Befestigungen. Ohne Durchbruch durch die russischen Linien aber kann die Ukraine den Krieg gegen den an sich übermächtigen Angreifer nicht gewinnen.
Den letzten grossen Durchbruch schafften die ukrainischen Soldaten im Herbst 2022 in der Region um die nordostukrainische Grossstadt Charkiw. Verantwortlich für den Überraschungserfolg damals: Heeresführer Alexander Sirski, den Selenski jetzt zum Oberbefehlshaber machte.
Die Erwartungshaltung ist klar: Sirski soll das Wunder liefern, das Saluschni nicht liefern konnte. Ein enormer Druck lastet auf den Schultern des Mannes, der seine Militärausbildung 1982 an der sowjetischen Militärkommandoschule in Moskau abgeschlossen hatte. Er muss liefern, und zwar bald.