Tut ers, oder tut ers nicht? Das fragt sich Europa nach den jüngsten Drohungen von Wladimir Putin (71) an die Adresse von Lettland, wo Politiker laut darüber nachdenken, Tausende russischsprachige Personen zwangsauszuweisen. Fast zwei Jahre nach seinem brutalen Überfall auf die Ukraine vergessen manche im Westen, wie irrational der faktische Alleinherrscher im Kreml sein kann. Andere wiederum unterschätzen die Abwehrkraft der Nato und fürchten sich grundlos davor, dass die russische Fahne bald über Warschau oder Berlin flattern könnte.
Ein neuer Bericht des dänischen Militärgeheimdienstes Forsvarets Efterretningstjeneste sorgt nun für ein differenzierteres Bild. Blick hat ihn gelesen.
Dabei wird deutlich: Der Militärgeheimdienst rechnet nicht damit, dass Putin einen Nato-Staat militärisch angreifen wird. Zu gross sei sein Respekt vor dem Artikel 5. Der hält fest, dass die gesamte Nato (inklusive der militärischen Supermacht USA) sofort eingreift, wenn ein einziger Mitgliedsstaat attackiert wird. In Acht nehmen müsse sich Europa vor einer anderen russischen Bedrohung, die insbesondere die Schweiz nicht genug ernst nimmt.
Russland werde das Jahr 2024 mit allen Mitteln versuchen, Europas Völker zu verwirren und so viel Chaos wie möglich zu stiften. Cyberangriffe auf wichtige Onlinedienste gehörten genauso zum Repertoire der Russen wie die finanzielle Unterstützung von Politikern, die der europäischen Einheit schaden wollten.
Ist der Bundesrat wirklich schlauer als alle anderen Regierungen?
Besonders scharf warnen die dänischen Spezialisten vor russischen Propaganda-Aktivitäten, die im Westen für eine anti-ukrainische und Nato-kritische Stimmung sorgen sollen. Konkret erwähnt der 76-seitige Bericht die Plattform Russia Today, die EU-weit gesperrt ist, in der Schweiz aber noch immer problemlos aufgerufen werden kann.
Im März 2022 entschied der Bundesrat, die Propaganda-Plattform weiter laufenzulassen. Es sei wirksamer, «unwahren und schädlichen Äusserungen mit Fakten zu begegnen, anstatt sie zu verbieten», schrieb der Bundesrat. Mit dieser Haltung steht die Schweizer Regierung europaweit alleine da.
Vor genau solchen Alleingängen warnen nun die Dänen. Troels Lund Poulsen (47), der Verteidigungsminister des nordischen Königreichs, betonte bei einem Auftritt vor dem Parlament in Kopenhagen noch einmal das Ungemach, das Europa dieses Jahr drohe.
Russland könnte möglicherweise Attacken auf Schiffe in der Ostsee durchführen – oder eben mit grossangelegten Cyber- und Informationsangriffen für Verwirrung sorgen. Putin wolle jetzt testen, wie die Nato im Ernstfall reagiert.
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Einen Vorgeschmack auf die Nato-Reaktion erhält der Kreml-Chef gerade in diesen Tagen, wenn er aus der Distanz auf die grösste Nato-Übung seit dem Kalten Krieg blickt, die noch bis im Mai direkt vor seiner Haustür im Baltikum und in Polen durchgeführt wird. 90'000 Soldaten, Hunderte Panzer und Kampfjets simulieren da einen Angriff eines nicht näher genannten Provokateurs auf ein Nato-Land. Das Zeichen an Moskau ist klar: Denkt gar nicht dran!
So könnte es unbeabsichtigt zum Krieg kommen
Solche Nato-Machtdemonstrationen sind wichtig. Und gleichzeitig äusserst riskant, wie der dänische Geheimdienstbericht explizit festhält. Es bestehe ein «ernsthaftes Risiko», dass niedere Chargen in den russischen Streitkräften die Bedrohungslage für Russland völlig falsch einschätzten oder sich vorschnell provozieren lassen und dann überreagierten. So könnte es 2024 zu einer unbeabsichtigten direkten Konfrontation mit Russland kommen.
Und während der Westen weiter darüber werweisst, was Putin dieses Jahr im Schild führen könnte, sieht sich die Ukraine zunehmend in einer verzweifelten Situation. Ein neues Hilfspaket aus Washington, das die Kriegskassen und Munitionslager in Kiew für die kommenden Monate gefüllt hätte, wurde von den Republikanern auf Druck von Präsidentschaftskandidat Donald Trump (77) auf den letzten Metern ausgebremst. Am Mittwoch stimmt das Parlament über das Paket ab. Es dürfte keine Chance haben.
Die Ukraine muss zittern. Ohne US-Hilfe ist Russlands Armee nicht lange aufzuhalten. Da helfen weder 90’000-Mann-Nato-Übungen noch beschwichtigende dänische Geheimdienst-Berichte.