Putin tobt vor Wut
Lettland will Russen ausweisen

Tausende Menschen könnten in Lettland bald von Abschiebungen betroffen sein. Die russischsprachige Minderheit, die keine Lettisch-Kenntnisse vorweisen kann, muss das Land verlassen. Kremlchef Wladimir Putin ist ausser sich.
Publiziert: 30.01.2024 um 07:30 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2024 um 09:39 Uhr
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Lettland will Hunderte Menschen ausweisen. Die Betroffenen gehören der russischsprachigen Minderheit im Land an.
Foto: keystone-sda.ch

«Sicherlich wird es Zwangsausweisungen geben», sagt der Parlamentsabgeordnete Gunars Kutris (63) in Riga zur Lage der Russen in Lettland. Hunderte Menschen, die seit vielen Jahrzehnten in dem EU-Land leben und nur Russisch sprechen, könnten von den Abschiebungen betroffen sein. «Das wird sich in der Praxis zeigen», meint der Chef im Ausschuss für Staatsbürgerschaft, Migration und sozialen Zusammenhalt. Wer künftig keine Lettisch-Kenntnisse vorweisen kann, muss das Land verlassen. Das könnten bis zu 3000 Menschen sein.

In Russland spricht der Machtapparat von «Diskriminierung» in einem EU-Land, das sich zur Wahrung der Rechte von Minderheiten verpflichtet hat. Rund ein Viertel der Bevölkerung in Lettland mit den 1,9 Millionen Einwohnern gehört zur grossen russischsprachigen Minderheit.

Putin spricht von einer «schweinischen» Behandlung

Viele Menschen auch in den anderen baltischen Staaten Estland und Litauen sind staatenlos oder haben einen russischen Pass. Sie kamen schon zu kommunistischen Zeiten ins Baltikum, als die drei Republiken gezwungenermassen Teil der Sowjetunion waren. Bereits seit Jahren beklagt Moskau, einst Machtzentrale auch für das Baltikum, Russen würden dort diskriminiert.

«In den baltischen Staaten werden Zehntausende Menschen zu Untermenschen erklärt, ihnen werden die grundlegendsten Rechte entzogen», schimpfte Kremlchef Wladimir Putin (71) Ende Januar bei einem Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Schon vorher hatte er von einer – wörtlich – «schweinischen» Behandlung der Russen in Lettland gesprochen. Er wirft der Regierung in Riga vor, sie missbrauche die allgemein feindliche Stimmung gegen Russland politisch, um gegen die seit langem nicht geliebte Minderheit vorzugehen.

Wer mit russischem Pass weiter legal in Lettland leben will, muss mittlerweile einen dauerhaften Aufenthaltsstatus beantragen und dafür bei einem Sprachtest alltagstaugliche Lettisch-Kenntnisse nachweisen. Stichtag dafür war der 1. September. Wer die Prüfung nicht bestanden hat, kann eine zweijährige Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragen und den Test wiederholen.

Lettland weist Russlands Vorwürfe zurück

Alle anderen, die sich nicht von sich aus gemeldet haben bei den Behörden, haben nun Post erhalten von der Migrationsbehörde – ihnen droht der Rauswurf aus Lettland. Hintergrund sind Änderungen an Lettlands Ausländerrecht, die im Herbst 2022 als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beschlossen wurden.

Dahinter verbirgt sich auch die seit der wiedererlangten Unabhängigkeit Lettlands 1991 immer wieder aufkommende Frage, wie loyal die russischstämmige Bevölkerung ist und sich im Konfliktfall verhalten würde. Befürchtet wird, Russland könnte diese Personen instrumentalisieren und aufwiegeln. Oder ähnlich wie in der Ukraine sogar eine Invasion damit begründen, dass es seine Landsleute im Ausland schützen müsse.

Lettlands Staatspräsident Edgars Rinkevics (50) wies die Behauptungen Putins und der russischen Staatspropaganda zurück. «Wir alle wissen genau, dass in Lettland lebende Russen nicht diskriminiert werden. Aber es gibt völlig legitime Anforderungen: die Kenntnis der Landessprache, und dies ist die Grundlage jedes Landes.»

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Umstrittener Umgang mit russischstämmigen Rentnern

Doch besonders im Osten des Landes an der Grenze zu Russland und Belarus ist Russisch Alltags- und Umgangssprache. Auch deshalb fallen bei den Sprachtests für Niveau A2 mehr als 60 Prozent der Teilnehmer beim ersten Mal durch. Die Anforderungen sind umstritten. Kritiker verweisen darauf, dass die Regelung und mögliche Ausweisungen vor allem ältere und schutzbedürftige Menschen träfen, die keine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellten. Viele hätten bereits ihr ganzes Leben in Lettland verbracht.

Wer mit Letten etwa in der Altstadt von Riga spricht, hört immer wieder: Ja, es sei genug Zeit gewesen, um die Sprache zu lernen. Vor allem junge Leute sollten sich anstrengen. Aber die Politik hätte das auch schon vor 30 Jahren nach der Unabhängigkeit fordern können. Es sei «Schwachsinn», ältere Menschen auszuweisen, sagt etwa der Rentner Gunars der Deutschen Presse-Agentur auf der Strasse. Die junge Passantin Laura meint: «Es ist doch klar, dass eine betagte Oma Lettisch nicht plötzlich morgen erlernen wird.»

Manche Betroffenen wissen nach eigenen Angaben auch überhaupt nicht, wohin sie nach einer Ausweisung aus Lettland gehen sollten. Einige Teilnehmer an den Lettisch-Sprachprüfungen berichteten der dpa, sie stammten gar nicht aus Russland und hätten auch keine Familie dort. Die russische Staatsbürgerschaft hätten sie einst vor allem deshalb angenommen, um eine Rente von dort zu beziehen. Doch manche leben nun in Not, weil sie ohne Sprachtest keinen legalen Aufenthaltsstatus mehr haben – und damit auch kein Anrecht auf Sozialleistungen.

Russland schafft Programm für seine Bürger im Ausland

Für Aufsehen in Russland sorgte Mitte Januar die Ausweisung von Boris Katkow (82), der mehr als 50 Jahre in Lettland gelebt hatte. Der Präsident einer Organisation für lettisch-russische Zusammenarbeit war ausgewiesen worden, weil er laut den Behörden in Riga ein Risiko für die nationale Sicherheit des Landes darstellte.

Katkow habe seine 13-köpfige Familie, darunter Enkel, verlassen müssen, von denen mehr als die Hälfte lettische Staatsbürger seien, berichtete die Regierungszeitung «Rossijskaja Gaseta». Er sei einfach an der Grenze abgesetzt worden, sagte er unter Tränen in einem Video. Er kam in der benachbarten russischen Ostseeregion Kaliningrad unter.

Dass Putin zum Schutz russischer Bürger mit der Armee in die Nato-Staaten im Baltikum einmarschiert, ist nicht in Sicht. Er hat vielmehr angewiesen, ein Programm für die Rückführung von Russen auszuarbeiten, sollte es zu einer «illegalen Deportation» kommen. Ein neues Institut für Rückführungen soll Menschen mit russischen Wurzeln, die schon vor Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 dauerhaft im Ausland lebten, dabei unterstützen, sich in ihrer Heimat oder in der ihrer Vorfahren niederzulassen. (SDA)

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