Nachdem der schwedische König Carl XVI. Gustav (74) die Corona-Politik im eigenen Land als «gescheitert» bezeichnet hatte, gibt nun der zuständige Staatsvirologe Anders Tegnell (64) Fehler zu. Vor allem habe man die asymptomatischen Fälle falsch eingeschätzt, sagte er vor der Oxford Union, einem Debattierclub der gleichnamigen, renommierten Universität in Grossbritannien.
Der Virologe sagte laut «The Telegraph», dass Covid-19 vielleicht fälschlicherweise mit der Grippe verglichen worden sei, wo sich ein grosser Teil der Menschen anstecke, keine Symptome zeige, sich erhole und Antikörper entwickle.
Man habe die Anzahl Menschen, welche die Krankheit ohne Symptome haben würden, überschätzt. Das habe dazu geführt, dass man in Schweden glaubte, mehr Menschen hätten eine Immunität entwickelt, als es in Wirklichkeit der Fall war.
Mehr zu Schwedens Sonderweg
Tegnell sagte zum Vergleich von Covid-19 mit der Grippe konkret: «Das hat sich als nicht richtig erwiesen, denn die Immunität in der Bevölkerung hat sich viel, viel niedriger entwickelt, als es jemand am Anfang erwartet hatte. Viele der anfänglichen Modelle waren von dieser Annahme ausgegangen, und es hat sich herausgestellt, dass das nicht der Fall war.»
Zweite Welle unterschätzt
Tegnell sagte auch, dass eine Herdenimmunität ohne Impfstoff nicht möglich sei. Grund: Ohne Impfstoff könne man nie eine so hohe Immunität erreichen, die für das Stoppen der Krankheit nötig sei.
Und er gestand ein, dass man in Schweden wohl die zweite Welle im Dezember unterschätzt habe. Tegnell: «Nach dem Sommer sah es ziemlich vielversprechend aus, und wir hatten ein niedriges Niveau an Fällen, länger als die meisten Länder. Aber als es Schweden traf, traf es uns sehr hart.»
Vertrauen der Schweden sinkt
In Schweden, wo man sich sonst mit Kritik am Staat zurückhält, wächst der Unmut über den eingeschlagenen Corona-Weg. Hatten im Oktober 2020 noch 72 Prozent der Befragten einer Ipsos-Studie «grosses Vertrauen» in Tegnell, sind es jetzt noch 54. Regierungschef Stefan Löfven (63) kommt auf 26 Prozent.
Vor allem macht sich die geschlossene Facebook-Gruppe «Media Watchdogs of Sweden» immer mehr bemerkbar, wie der «Spiegel» schreibt. Die meisten der rund 200 angeschlossenen Medienwächter seien Akademikerinnen und Akademiker, darunter schwedische Wissenschaftler und Einwanderer aus EU-Ländern.
Ihr Ton ist aggressiv, sie fordern sogar, dass die Corona-Verantwortlichen wegen der vielen Toten vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestellt werden müssten.
Solche Kritik kommt bei Staatsstellen schlecht an. Die prominente Wissenschaftsjournalistin Emma Frans (39), eine wichtige Unterstützerin der staatlichen Linie während der Pandemie, twitterte über die Medienwächter: «Diese Art von Gruppe ist eine Bedrohung für die Demokratie.»
In Schweden gibt es inzwischen über 12’400 Corona-Tote (Schweiz: 9800). Die zweite Welle erreichte Ende Jahr mit einem Wochenschnitt von über 7000 neuen Fällen täglich einen Rekordwert. Zurzeit liegt dieser Wert noch bei rund 2000. (gf)