Die schwedischen Behörden haben am Freitag 5990 Neuansteckungen mit dem Coronavirus innerhalb von 24 Stunden verkünden müssen. Über 1000 Menschen befinden sich mit einer Covid-19-Erkrankung im Spital.
Die Zahl ist in den letzten Tagen rasant gestiegen, vergangene Woche lag der Wert noch 60 Prozent tiefer. Gemäss dem Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten steigt die Hospitalisierungsrate in keinem europäischen Land rascher an. Die Zunahme ist für die Betroffenen belastend. Sie bedeutet aber auch einen enormen Dämpfer für die Corona-Strategie in Schweden.
Wie aus den Vergleichswerten der EU-Gesundheitsbehörde ECDC hervorgeht, weist Schweden mittlerweile wieder die höchsten Neuinfektionsraten in Skandinavien auf. Die Zahl der bestätigten Corona-Fälle lag in Schweden in den vergangenen 14 Tagen bei knapp 485 pro 100'000 Einwohner. Das sind auf die Bevölkerung heruntergerechnet neunmal so viele Fälle wie in Finnland (54) und auch deutlich mehr als in Island (124), Norwegen (140) und Dänemark (257).
«Es geht in die falsche Richtung»
Während sich in Europa viele Länder bereits im Frühjahr einen kompletten Lockdown auferlegten, haben Kritiker dieser Massnahme Schweden als Paradebeispiel hochgehalten dafür, wie man es eigentlich machen sollte: keine nationalen Ausgangssperren, kaum Schliessungen und eine Regierung, die keine Verbote ausspricht, sondern an die Vernunft und Verantwortung der Bevölkerung appelliert.
Doch die Hoffnung, mit dem «Sonderweg» auch eine raschere und umfangreichere Immunität gegen das Virus zu erreichen, scheint sich nicht zu erfüllen. Im Gegenteil. «Es geht in die falsche Richtung», urteilte Schweden Ministerpräsident Stefan Löfven (63) am Mittwoch über die Corona-Entwicklung im Land. Rund um die Hauptstadt Stockholm zum Beispiel, wo eine besonders hohe Immunität erwartet worden war, liegt diese tatsächlich deutlich unter dem prognostizierten Wert.
Verbote im Kampf gegen Epidemie
«Schweden riskiert, dass mehr Menschen krank werden, mehr Menschen sterben und das Gesundheitswesen überlastet sein wird», sagte Löfven weiter. Bei den Behörden läuten wegen des rasanten Anstiegs der Fälle die Alarmglocken. Demnächst soll als Massnahme der Verkauf von Alkohol in Bars, Restaurants und Nachtclubs nach 22 Uhr verboten werden. Und in den beiden grössten Städten Stockholm und Göteborg wurden Besuche in Pflegeheimen mittlerweile verboten.
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Schwedens Chef-Epidemiologe Anders Tegnell (64) hatte zwar stets betont, dass eine sogenannte Herdenimmunität nicht das explizite Ziel der gewählten Strategie sei. Er hatte aber erwartet, dass eine zweite Welle in Schweden deutlich weniger heftig ausfallen würde als in anderen Ländern. Nun musste er an einer Pressekonferenz konstatieren: «Die Zahlen steigen ziemlich stark an. Und wir werden auch in der kommenden Woche gewiss wieder einen Anstieg verzeichnen.» (cat)