Die Volksrepublik China, einst aufstrebender Riese, kommt seit Covid nicht mehr in die Gänge. Die Immobilienkrise, die ihren Ursprung in der Pleite von Evergrande, dem ehemals grössten Immobilienentwickler des Landes, findet, trifft das Land schwer. Immobilienpreise mussten um bis zu 50 Prozent nach unten korrigiert werden, womit Millionen von Familien auf einmal einen Grossteil ihres Vermögens verloren haben.
Auch der Export stottert: Die Strafzölle der USA und EU auf Produkte, die vom chinesischen Staat subventioniert werden und so den Wettbewerb verzerren, zeigen ihre schmerzhafte Wirkung.
Weitere Gründe für das Erlahmen des Wirtschaftsmotors sind die alternde Gesellschaft, die Überschuldung des Staates, weniger Direktinvestitionen aus dem Ausland und die international angespannte Lage. Der Basler Politikwissenschaftler Ralph Weber (49), Mitautor des eben erschienenen Buches «Die Schweiz und China», erklärt: «Das alles führt zu einer Spannung zwischen einer faktischen Einparteienherrschaft, die über alles mitbestimmen will, und einer Wirtschaft, die marktwirtschaftlich agieren sollte.»
Junge ohne Arbeit
Für die Jungen bieten sich immer weniger Perspektiven. Zu viele Uni-Absolventen fluten den Arbeitsmarkt, der selbst Stellen abgebaut hat. Die Arbeitslosigkeit bei den 16- bis 24-Jährigen kletterte im vergangenen Jahr auf über 21 Prozent und lag – nach einer vorteilhaften Anpassung der Berechnung – im Juli dieses Jahres noch immer bei 17 Prozent. Den Jungen bleibt die Abwanderung aufs Land oder das «Hotel Mama».
Chinas Schräglage hat Auswirkungen auf die ganze Welt. «Die chinesische Wirtschaft ist global von riesiger Bedeutung. Schwächelt sie, bedeutet das, dass zum Beispiel folgenreiche Zulieferungsprobleme entstehen können», sagt Weber. So ist auch die grüne Transformation, also die Förderung der Klimaschutzziele, stark auf die chinesische Wirtschaft angewiesen.
Konflikte mit Taiwan und den Philippinen
Chinas Beschäftigung mit sich selbst dürfte Auswirkungen auf die Konflikte mit Taiwan und den Philippinen haben. Von einer Entspannung könne zwar keine Rede sein, meint Weber, und China werde das Szenario eines bewaffneten Konflikts auch weiterhin möglichst glaubhaft machen. Jedoch dürfte eine militärische Offensive eher in den Hintergrund rücken. Weber: «Es ist schwer vorstellbar, dass ein offener bewaffneter Konflikt derzeit eine rationale Option für die Führung in Peking darstellt.»
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Auch beim Konflikt mit den Philippinen dürften höchstens niederschwellige Scharmützel zu erwarten sein, mit denen sich die Volksrepublik China Schritt für Schritt über die Zeit kleine Gewinne und Vorteile verschaffen könnte. Ein Krieg? Daran glaubt Weber auch hier nicht: «Ein bewaffneter Konflikt mit den Philippinen würde das Verteidigungsbündnis mit den USA aktivieren, was sicherlich nicht im Interesse der Machthaber in Peking sein kann.»
Der Weg aus der Krise
Um aus der Misere herauszufinden, muss China seine Überkapazitäten in der Produktion abbauen. Sie führen nicht nur zu Konflikten mit Handelspartnern, sondern auch dazu, dass niemand damit Geld verdient. In einem Interview mit der «NZZ» sagt Jörg Wuttke (65), ehemaliger Präsident der EU-Handelskammer in China: «Den Firmen fehlen dadurch die finanziellen Mittel, um in Forschung und Entwicklung zu investieren und innovativer zu werden. Den Lokalregierungen fehlen Steuereinnahmen, weil die Firmen keine Gewinne schreiben.» Die einzige Lösung sei, Überkapazitäten abzubauen, indem man Firmen bankrottgehen lasse.
Peking hat bereits den Weg geebnet, um die Krise zu bekämpfen. Weber: «Das Regime spricht davon, dass man anstatt eines schnellen Wachstums nun den Pfad eines hochqualitativen Wachstums gehen möchte.» Dies töne zwar gut, sei aber nicht einfach, umzusetzen – gerade in der Immobilienkrise.
Die Krise in China ist daher noch lange nicht ausgestanden. Lösungsansätze sind zwar vorhanden, eine Besserung aber ist nicht wirklich in Sicht. Weber: «Die derzeitige Situation macht die Volksrepublik China eher unberechenbar, was sich auf allerlei Belange in der globalen Politik auswirkt.»