Volkskongress in Peking
«Für die Schweiz steht in China viel auf dem Spiel»

Der aktuell laufende Volkskongress soll Hinweise liefern, wie es mit der chinesischen Wirtschaft wieder aufwärts geht. Zwei Experten ordnen ein, wie das gelingen kann – und was das für uns bedeutet.
Publiziert: 07.03.2024 um 18:00 Uhr
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Aktualisiert: 08.03.2024 um 11:56 Uhr
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China, der drittwichtigste Export- und der zweitwichtigste Importpartner der Schweiz, hält aktuell seinen Nationalen Volkskongress ab.
Foto: imago/Xinhua
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Gabriel KnupferRedaktor Wirtschaft

China ist die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt und ein wichtiger Handelspartner der Schweiz. 2014 war die Schweiz das erste Land in Kontinentaleuropa, das ein Freihandelsabkommen mit der aufstrebenden Volksrepublik abschloss. Davon profitiert der Schweizer Handel bis heute.

Doch inzwischen hat die Wirtschaft des Riesenreiches an Zugkraft eingebüsst. Der Immobilienboom ist zu Ende und die Börse im Keller, und vor allem für die Jungen ist es schwierig geworden, einen Job zu finden.

Die chinesische Bevölkerung erwartet vom aktuell laufenden Volkskongress, der jährlichen Sitzung des chinesischen Parlaments, Hinweise, wie es wieder aufwärtsgehen soll. Blick sprach mit zwei Experten über die Folgen der chinesischen Flaute für die Welt und die Schweiz und die Aussichten auf eine mögliche Besserung.

Jörg Wuttke war bis im letzten Jahr Präsident der EU-Handelskammer in China und lebt seit Jahrzehnten im Land. Stefan Legge ist Experte für internationalen Handel und Dozent an der Universität St. Gallen.

Was bedeutet Chinas aktuelle Schwäche für die Schweizer Wirtschaft?

China ist der drittwichtigste Export- und der zweitwichtigste Importpartner der Schweiz. Die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft mache sich deshalb auch hierzulande bemerkbar, sagt Legge. «Zum ersten Mal seit über zehn Jahren sind die Schweizer Exporte nach China gesunken.» Schweizer Unternehmen spürten die sich abschwächende Nachfrage.

Die Stimmung in der chinesischen Bevölkerung sei schlecht, bestätigt Wuttke aus Peking. «Die Menschen sehen, dass die chinesischen Aktienmärkte und der Immobiliensektor kaputt sind, und fragen sich, was die Regierung dagegen unternimmt.» Das sei wichtig, weil die chinesischen Familien ihre Altersvorsorge über solche Investitionen sicherstellen. «Zwei Drittel des Haushaltsvermögens ist in Immobilien angelegt und der Rest in Aktien.»

Doch nicht nur der Mittelstand muss den Gürtel enger schnallen. «Auch die reichen Leute sind vorsichtiger», sagt Wuttke. Wobei die richtig Reichen inzwischen meist im Ausland, etwa in Tokio, lebten. «Es gibt ein Gerücht in Peking, dass eine Million Chinesen nach Japan gezogen ist.» Für China wäre das ein Problem, für die Schweizer Luxusgüterhersteller weniger: Denn diese Menschen kaufen weiterhin Uhren, Schmuck und andere Luxusgüter – nur nicht mehr in China.

Während China wegen des schwachen Aktienmarktes für die Finanzindustrie uninteressant geworden sei, bleibe das Land für Industrieunternehmen wichtig. Firmen wie ABB, Hilti oder die europäischen Autozulieferer könnten weiter Geld im Land verdienen. «Sicherlich kränkelt China beim Konsum, aber die Masse und Innovationskraft reicht, dass der Markt interessant bleibt», sagt Wuttke.

Am Volkskongress wurde ein Wachstumsziel von 5 Prozent für dieses Jahr herausgegeben. Wird nun alles wieder besser?

Das hohe Wachstumsziel ist keine Überraschung, aber auch nicht besonders wichtig. «Kurzfristig könnte der chinesische Staat die Wirtschaft stimulieren und so das Ziel erreichen», sagt Legge. Aber strukturell sei die Zeit des hohen Wirtschaftswachstums vorbei. «Die demografische Entwicklung wirkt wie ein Klotz am Bein und einige der Treiber des Wachstums in der Vergangenheit sind ausgereizt.»

Die Bevölkerung erwarte vom Volkskongress eine wirtschaftliche Perspektive, sagt Wuttke. «Die Menschen wollen wissen, wie es mit den Immobilien und Aktien weitergeht.» Sehr wichtig sei auch der Abbau von Überkapazitäten, das sei ein Problem, an dem Chinas Wirtschaft schon lange kranke.

Während die Bedeutung des Volkskongresses als Entscheidungsgremium gering und abnehmend sei, würden seine Botschaften im Land sehr wohl gehört. Für Wuttke positiv ist in diesem Jahr bisher die Zurückhaltung der Regierung, teure Stimuli für die Wirtschaft zu beschliessen, die eine höhere Verschuldung nach sich ziehen würden.

Im Westen ist viel von «De-Risking» die Rede, der Reduktion der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China. Was merkt man davon?

«Ich erkenne kein Abwandern europäischer Industriefirmen», sagt Wuttke. China sei nicht nur ein wichtiger Markt, sondern auch als «Inspiration» wichtig: «Man muss sich China als ‹Fitnesscenter› vorstellen, wo wir zum Beispiel lernen, wie wir heute Autos bauen müssen», sagt Wuttke. «Man kann nur in China lernen, wie man in Drittländern gegen die chinesische Konkurrenz bestehen kann.»

Während der Export nach China unter dem geringeren Konsum leide, könnten Schweizer Firmen immer noch sehr erfolgreich sein, wenn sie in China für den chinesischen Markt oder für Exportmärkte produzierten, so Wuttke. Dies auch wegen des grossen Pools an ausgezeichneten Ingenieuren in China bei gleichzeitigem Fachkräftemangel in Europa. Für die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Schweiz sei dies aber weniger vorteilhaft.

Auch Legge von der Universität St. Gallen stellt fest, dass in Europa kaum noch jemand von «Decoupling», einer Entkopplung von der chinesischen Wirtschaft, spricht. «Ein Entkoppeln von China ist zu teuer, daher geht es primär darum, die Abhängigkeiten zu reduzieren», sagt Legge. Das allein sei schon schwierig und teuer genug. «China ist als Handelspartner kaum zu ersetzen.»

Was würden ein Krieg mit Taiwan und die darauf folgenden Sanktionen des Westens für die Schweizer Wirtschaft bedeuten?

Schon heute gibt es Sanktionen gegen chinesische Firmen wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und der Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Dazu kommen Massnahmen gegen chinesische Firmen, die in Russland Geschäfte machen. Das sei vor allem für mittelständische Firmen ein Problem, sagt Wuttke, weil es für diese sehr schwierig sei, die Lieferketten zu kontrollieren.

Doch die heutigen Sanktionen sind nichts gegen das, was bei einem Angriff Chinas auf Taiwan drohen würde. «Der potenzielle Schaden einer solchen Entwicklung wäre weit grösser als beispielsweise der russische Einmarsch in die Ukraine», sagt Legge. Der Chiphersteller TSMC aus Taiwan sei praktisch alternativlos als Zulieferer von Highend-Chips. Zudem würde eine drastische Verschlechterung der Beziehungen Chinas zum Westen auf beiden Seiten grosse wirtschaftliche Verwerfungen mit sich bringen. «Für die Schweiz steht viel auf dem Spiel.»

Auch für Wuttke ist klar, dass schon die Andeutung einer Blockade Taiwans oder der Taiwanstrasse, durch die 18 Prozent des Welthandels fliessen, die Kapitalmärkte weltweit ins Chaos stürzen würde.

«Eine Blockade Taiwans würde den Hightechsektor weltweit de facto lahmlegen, und ein Krieg wäre absolut katastrophal für den globalen Handel», sagt Wuttke. China wäre ebenfalls stark betroffen, auch weil das Land selbst von den Chips von TSMC abhängig ist.

«Daran hat China kein Interesse, und deshalb glaube ich auch nicht, dass Xi Jinping daran denkt, einen Krieg anzufangen», sagt Wuttke. «Ich halte einen Taiwan-Krieg in diesem Jahrzehnt für extrem unwahrscheinlich.»

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