Die süditalienische Stadt Neapel ist flankiert von Vulkangebieten. Im Osten vom Vesuv, im Westen von den Campi Flegrei, den Phlegräischen Feldern, oftmals bezeichnet als Italiens Supervulkan. Am Montag und Dienstag hat sich eine seltene Erdbebenserie auf den Campi Flegrei ereignet. In 24 Stunden verzeichneten die Behörden über 160 Erdstösse, so viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Es begann am Montag um 16.21 Uhr mit einer Magnitude von 1,6. Bis zum Dienstagnachmittag folgten weitere Beben. Das stärkste ereignete sich nachts um 1.46 Uhr und hatte eine Magnitude von 3,2. Tagsüber ebbten die Erdstösse allmählich ab, bis am Abend um 19.37 Uhr erneut ein stärkeres Beben (Magnitude 2,7) registriert wurde.
«Wird mehr oder weniger schnell nach oben kommen»
Die halbe Million Menschen, die in der roten Zone leben, haben als einzige Gewissheit die Ungewissheit. Denn selbst für die Wissenschaftler sind die Bewegungen des Magmas unter der Erde schwierig zu interpretieren. Einer der Hauptpunkte, wofür die Forschung bisher keine definitive Antwort gefunden hat, ist die Frage, ob die Erdstösse von aus der Tiefe aufsteigendem Magma oder durch Magmabewegungen in einer oberflächlichen Erdschicht verursacht werden.
Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass sich in einer Tiefe von acht Kilometern Magma befindet. Für Aufsehen sorgt in diesem Zusammenhang eine Erklärung des Vulkanologen Roberto Scandone, ehemaliger Professor der Universität Roma Tre und Mitglied der staatlichen Kommission für Grossrisiken, in einem unlängst auf Youtube veröffentlichten Seminar des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV). Ihm zufolge ist schon in einer Tiefe von vier Kilometern Magma zu finden, wie etwa die Zeitung «l'Unità» berichtet. «Ich glaube, dass das Magma bereits dort ist und versucht, sich zu verformen, und wenn sich die Risse öffnen, wird es mehr oder weniger schnell nach oben kommen», sagt Scandone.
Drei mögliche Szenarien
Das Seminar fand bereits am 11. März statt, also noch vor der jüngsten Serie von Erschütterungen. Fast alle Erdbeben ereigneten sich im Bereich des Monte Olibano. Das ist just die Stelle, die Scandone in dem Seminar als mögliche Bruchstelle beschreibt, wo dereinst Magma durch Risse aus dem Erdinnern austreten könnte.
Scandone rechnet mit drei möglichen Szenarien. Entweder werden die Bodenbewegungen allmählich wieder seltener und nehmen in ihrer Intensität ab. Oder aber es kommt durch eine Eruption von zähflüssigem Magma zur Bildung eines sogenannten Lavadoms, einer hügel- oder säulenförmigen Erhebung. Als dritte Möglichkeit sieht der Vulkanologe eine explosionsartige Eruption, bei der das Magma mit hoher Geschwindigkeit austritt. Wie Scandone weiter ausführt, kann sich das zweite Szenario auch innerhalb von Stunden oder Tagen zu einem explosiven Ausbruch – Szenario drei – entwickeln.
Boden hebt sich einen Zentimeter pro Monat
«Der Vulkan verhält sich nicht immer so linear, wie wir es gerne hätten», sagt Candone. «Wenn ich unbegrenzte Ressourcen hätte, würde ich die Campi Flegrei evakuieren.» Obwohl die Vermutung von Scandone über Magmavorkommen in vier Kilometern Tiefe nicht von allen Kollegen geteilt wird, können auch seine Kritiker nicht Entwarnung geben: Eine Eruption könnte auch vom Magma in acht Kilometern Tiefe gespiesen werden und ohne Magmavorkommen in einer oberflächlichen Erdschicht stattfinden.
Schulen proben bereits den Ernstfall, denn in dem Gebiet rumort nicht erst seit der Erdbebenserie von Anfang Woche. Vielmehr sind die Campi Flegrei schon seit Monaten in Bewegung. Blick berichtete bereits im vergangenen Herbst über eine Erdbebenserie. Der Boden hebt sich neusten Angaben zufolge rund einen Zentimeter in 30 Tagen, Tendenz steigend. Die jüngsten Erschütterungen waren teilweise bis im westlichen Stadtteil von Neapel spürbar.