Brutale Kämpfe und ein vermeintliches Druckmittel
Ukraine hält seit sechs Monaten Gebiete im russischen Kursk besetzt

Ukrainische Truppen verteidigen seit einem halben Jahr ihren Brückenkopf auf gegnerischem Territorium im russischen Gebiet Kursk. Selenski hofft, mit dem eroberten Territorium ein Druckmittel in der Hand zu haben.
Publiziert: 13:15 Uhr
1/6
Die Ukraine drang im August 2024 in die russische Region Kursk vor.
Foto: Anadolu via Getty Images

Auf einen Blick

  • Ukraine besetzt russisches Gebiet. Selenski sieht es als wichtiges Druckmittel
  • Nordkoreanische Söldner verschwunden, könnten aber zurückkehren
  • Russische Angriffe in der Ostukraine gingen von 292 auf 80 pro Tag zurück
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

«Irgendwann, wenn der Krieg auf eine diplomatische Lösung zusteuert, wird man sehen, wie wichtig diese Operation war», schrieb der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (47) im sozialen Netzwerk X. «Russland wird uns in nächster Zukunft nicht aus Kursk vertreiben.» Die russische Gegenoffensive mit 60'000 Soldaten stecke fest, sagte er.

Nachdem die Ukraine 2024 viele militärische Rückschläge hinnehmen musste, hatte das unerwartete Vordringen auf russisches Gebiet am 6. August ihrer Armee wieder Raum für Manöver verschafft. Die Ukrainer eroberten Militärexperten zufolge mehr als 1000 Quadratkilometer russisches Territorium. Moskauer Gegenangriffe liessen die Fläche später wieder auf die Hälfte schrumpfen. Doch derzeit kommen russische Truppen wegen geschickt gewählter Verteidigungsstellungen der Ukrainer kaum voran. 

Druckmittel für Verhandlungen

Politisch bedeutet die Besetzung der eroberten Gebiete, dass Kiew ein Faustpfand für mögliche Gespräche über ein Ende der Kämpfe mit Russland hat. Kremlchef Wladimir Putin (72) will nach Einschätzung Moskauer Medien möglichst vermeiden, dass eigenes russisches Territorium Gegenstand von Verhandlungen wird.

«Die Russen müssen dieses Gebiet hier um jeden Preis zurückerobern und setzen alles daran, dies zu erreichen», sagt Sergeant Oleksander (46), der Anführer eines ukrainischen Infanteriezugs, im Gespräch mit der «New York Times» Mitte Januar. «Währenddessen geben wir alles, um es zu halten.» Die Situation habe sich allerdings seit dem Eingreifen nordkoreanischer Truppen, die von Kim Jong Un (41) zur Unterstützung von Putin nach Russland entsandt wurden, signifikant verschlechtert.

Doch wo sind die nordkoreanischen Soldaten in der Region?

«Die nordkoreanischen Söldner sind schon geflohen», schrieb Selenski auf X. Tatsächlich sind die Soldaten aus dem abgeschotteten kommunistischen Land nach hohen Verlusten seit Mitte Januar nicht mehr an der Front beobachtet worden. 

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Die ukrainischen Streitkräfte gehen indes nicht davon aus, dass die Nordkoreaner in ihre Heimat zurückbeordert wurden. «Ich glaube, dass sie wieder an der Front auftauchen werden. Sie werden sich angepasst haben», sagte der Offizier Anton Sachartschuk von der 95. Luftlandebrigade den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Seine Truppe hatte ab Dezember im Nordosten der Kursk-Front gegen nordkoreanische Einheiten gekämpft. Soldaten berichteten von brutalen Gefechten und mit Leichen übersäten Feldern.

Die Nordkoreaner seien als Sturmtruppen eingesetzt worden, sagte Sachartschuk. Er vermute, dass sie nun ein Stück hinter der Front umgruppiert würden. Anfang Jahr konnten ukrainische Einheiten dann zwei nordkoreanische Militärangehörige in der Region gefangen nehmen. Sie berichteten, nicht gewusst zu haben, dass sie in den Krieg ziehen würden.

Ukrainer verhaften zwei nordkoreanische Soldaten
0:44
In Region Kursk:Ukrainer verhaften zwei nordkoreanische Soldaten

Weniger Kämpfe an der ukrainischen Ostfront

An der Front in der Ostukraine kommen die russischen Truppen nach Monaten heftiger Kämpfe und unablässigen Vorrückens derzeit ebenfalls langsamer voran. «Der russische Raketenterror geht weiter, aber ihre Bodentruppen werden schwächer», sagte Selenski.

Der ukrainische Militärblog «DeepState» verwies darauf, dass die berichtete Zahl russischer Sturmangriffe zuletzt stark gesunken sei. Im Dezember hatte der ukrainische Generalstab bis zu 292 Attacken am Tag verzeichnet. Im Januar ging die Zahl bereits zurück. Am Dienstag und Mittwoch wurde von jeweils 80 Gefechten berichtet. Uneinig waren sich Militärbeobachter aber darin, ob dies eine operative Pause bedeutet oder ob die seit Herbst 2022 ununterbrochene russische Offensive sich wegen hoher Verluste totgelaufen hat.

Selenski braucht Garantien der USA und Europas

In Kiew wie in Moskau wird weiter auf die angekündigte diplomatische Initiative von US-Präsident Donald Trump gewartet. Dieser will ein Ende des seit fast drei Jahren tobenden Kriegs erreichen, wobei der Weg dorthin unklar ist. Selenski berichtete von weiteren Kontakten mit den Amerikanern.

Er stellte erneut klar, dass die Ukraine für ein Ende der Kämpfe tragfähige Sicherheitsgarantien gegenüber Russland brauche. Daran sollten die USA, die EU-Staaten und Grossbritannien beteiligt sein. «Ob das ein Truppenkontingent ist, Waffen, Marinepräsenz, Soldaten oder Flugabwehrsysteme – es muss eine gemeinsame Anstrengung zwischen den USA und Europa sein», schrieb er auf X. Und er kam zu dem Schluss: «Um ehrlich zu sein, eine Nato-Mitgliedschaft wäre für alle günstiger.»

Bislang sind führende Nato-Staaten wie die USA und Deutschland nicht zu einer Einladung an die Ukraine bereit. Moskau lehnt eine Zugehörigkeit der Ukraine zum westlichen Bündnis wie auch Nato-Truppen auf ukrainischem Gebiet strikt ab.

Fehler gefunden? Jetzt melden