Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs hängt ein atomares Damoklesschwert über der Ukraine, Europa und der Welt. Die Angst, dass Kremlchef Wladimir Putin (69) tatsächlich Atomwaffen einsetzen könnte, wächst. Für den ehemaligen britischen General Sir Richard Barrons (63) ist die Gefahr real.
«Es wäre der erste Einsatz von Atomwaffen seit 77 Jahren und ein enormer Tabubruch. Aber das ist für die Russen nicht unvorstellbar, wenn der Zweck es in ihren Augen rechtfertigt», sagte Barrons zur britischen Zeitung «Sunday Times».
Für Putin gibt es laut dem Ex-General zwei Gründe, um tatsächlich Atomwaffen einzusetzen. Punkt Nummer 1: Verteidigung. Wenn sich der Kreml-Chef zu sehr in eine Ecke gedrängt fühle und seine Truppen in der Ukraine zurückgedrängt werden, könnte Putin zum Äussersten greifen und «taktische Atomwaffen einsetzen». Zurzeit drängen die Ukrainer gerade das russische Militär zurück. Präsident Wolodimir Selenski (44) erklärte, dass man die Krim zurückerobern wolle.
Russen könnten Mini-Atombomben einsetzen
Zweitens geht Barrons davon aus, dass die Ukraine eine neue Grossoffensive starten wird, um russische Truppen aus ihrem Land zu vertreiben. Deshalb könnte Russland bereits in den ersten Monaten des Jahres 2023 Atomwaffen einsetzen, so der Ex-General.
«Eine breitere ukrainische Offensive und Mobilisierung, die bereits im nächsten Frühling erwartet wird, könnte zu Erfolgen auf dem Schlachtfeld und zur Befreiung von Land führen, das von Russland erobert wurde. Dies könnte weitere Risiken mit sich bringen.»
Laut Barrons würde Russland in der Ukraine keine grossen Atombomben einsetzen, sondern Mini-Bomben. Der Grund: So kann Putin gezielt kleinere Bereiche angreifen. Mini-Bomben klingen zwar weniger harmlos. Experten schätzen aber dennoch, dass bei einem Einsatz rund eine halbe Million Menschen getötet oder verletzt werden könnten.
Wie viele solcher Atomwaffen Russland besitzt, ist nicht ganz klar. Es wird vermutet, dass Putins Armee rund 2000 Atomwaffen in Form von Kleinraketen, Torpedos und Artilleriegranaten in seinem Arsenal hat. Damit sie zum Einsatz kommen, braucht es das Einverständnis von Putin. Nur er kann einen solchen Angriff absegnen.
«Im Atomkrieg gibt es keine Sieger»
Offiziell hat Kremlchef Putin nicht vor, von den Atomwaffen Gebrauch zu machen. Anfang August betonte er, dass er keinen Einsatz von Nuklearwaffen plane. Das erklärte er in einem Schreiben an die Teilnehmer der UN-Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag.
«Wir gehen davon aus, dass es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er niemals begonnen werden darf», schrieb der Kremlchef. Zugleich forderte er «gleiche und unteilbare Sicherheit für alle Mitglieder der Weltgemeinschaft».
Diese Worte beruhigen den Ex-General Barrons aber kaum. Putin könne seine Meinung schnell ändern. «Mit jedem Tag, jeder Woche und jedem Monat, der verstreicht, wird der drohende Schatten eines Atomkriegs über die Ukraine grösser.» (chs)