Bern, Hotel Schweizerhof. In der Lobby sitzen Gäste bei Campari Soda, im ersten Stock öffnet sich diskret eine Schiebetür. Dahinter ist fremdes Hoheitsgebiet: Willkommen in der Botschaft Katars! Das Luxushotel gehört dem Wüstenstaat. Mohammed Jaham al-Kuwari lädt in sein Büro. Seit einer Woche ist er Katars Mann in der Schweiz. An der Wand zwei Bilder: der alte und der neue Emir.
Herr Botschafter, die Schweizer Nationalmannschaft fährt an die Fussball-WM in Ihrem Land.
Mohammed Jaham al-Kuwari: Ich gratuliere! Wir haben an einer Zeremonie die Schweizer Fahne geschwenkt, als sich Ihr Team qualifizierte.
Nicht alle Schweizer teilen diese Freude. Manche fordern sogar einen Boykott der WM 2022.
Ich frage mich, ob diejenigen, die zu einem Boykott aufrufen, unser Land überhaupt kennen. Man darf uns kritisieren, aber dann sollte man auch bereit sein, mit uns in einen Dialog zu treten.
Wie soll dieser Dialog aussehen?
Wir sind offen und suchen den Kontakt mit unseren Kritikern. Jede Partei darf sich mit uns an einen Tisch setzen. Wir sind vielleicht noch keine Demokratie wie die Schweiz. Aber wir demokratisieren unser Land Schritt für Schritt.
Mohammed Jaham al-Kuwari (63) steht seit über 40 Jahren im Dienst des katarischen Emirats. Als Diplomat und Botschafter führte ihn seine politische Laufbahn unter anderem nach Washington, Madrid, Paris und Teheran. Vor zehn Tagen trat er seinen Posten in Bern an. Al-Kuwari hat Politikwissenschaft und internationale Beziehungen studiert und wurde mit dem Verdienstorden der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet.
Mohammed Jaham al-Kuwari (63) steht seit über 40 Jahren im Dienst des katarischen Emirats. Als Diplomat und Botschafter führte ihn seine politische Laufbahn unter anderem nach Washington, Madrid, Paris und Teheran. Vor zehn Tagen trat er seinen Posten in Bern an. Al-Kuwari hat Politikwissenschaft und internationale Beziehungen studiert und wurde mit dem Verdienstorden der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet.
Nach einer Zählung der britischen Zeitung «The Guardian» sind 6500 Arbeitsmigranten auf katarischen WM-Baustellen gestorben, internationale Organisationen kritisieren seit Jahren die Arbeitsbedingungen dort.
Natürlich haben wir diese Berichte zur Kenntnis genommen. Doch die Zahlen der verstorbenen Baustellenarbeiter sind nicht korrekt. Sogar die Botschaften besagter Arbeiter vertreten eine andere Sicht.
Wozu sollte man solche Anschuldigungen erfinden?
Es wird auf jeden Fall übertrieben. Wir haben die Ursachen untersucht und festgestellt, dass manche Arbeiter krank waren oder bereits in schlechter körperlicher Verfassung zu uns kamen. Die Todesfälle stehen in keinem Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft. Unfälle geschehen aus verschiedenen Gründen. Wir haben diverse Bauprojekte in Katar. Jetzt wird aber alles mit der WM in Verbindung gebracht. Auch 2023 nach der WM werden Menschen auf Baustellen sterben, Katarer und Nichtkatarer.
Arbeitsmigranten verdienen in Katar kaum 250 Franken pro Monat – in einem der reichsten Länder der Welt. Das müssen Sie erklären.
Es gibt einen Fixlohn. Dazu kommen Essen, Unterkunft, Transport, Gesundheitsversorgung, was alles nicht mitgezählt wird. Letztlich entscheidet aber der Markt, zu welchen Konditionen Arbeitskräfte beschäftigt werden. Die Unternehmen, darunter auch solche aus der Schweiz, sind für ihre Angestellten verantwortlich, nicht der Staat. Die Menschen kommen zu uns, weil sie mehr verdienen als in ihren Heimatländern. Nirgends werden so viele Arbeitsmigranten angestellt wie in Katar.
Dass die Unternehmen in der Verantwortung stehen, ist klar. Für die Arbeitsbedingungen ist aber das Emirat als Gesetzgeber verantwortlich.
Wir haben den Minimallohn angehoben und die medizinische Versorgung verbessert. Wir sagen den Unternehmen, welche Standards die Unterkünfte der Arbeiter erfüllen und dass die Löhne pünktlich überwiesen werden müssen. Unternehmen, die sich nicht daran halten, werden gebüsst.
Amnesty International wirft Ihnen vor, mit diesen Massnahmen lediglich Kosmetik zu betreiben.
Wir haben unser Arbeitsgesetz reformiert. Sogar die Fifa bestätigt, dass wir Fortschritte gemacht haben. Wir bewegen uns in die richtige Richtung, sind uns aber bewusst, dass wir noch nicht dort sind, wo wir hinwollen. Vergessen Sie nicht: Wir haben als erstes Land in der Region Parlamentswahlen abgehalten.
Die Frauenrechte in Katar sind stark eingeschränkt. Wird sich daran auch etwas ändern?
Die höchste Rechtsberaterin bei den Weltmeisterschaften ist eine Frau. Frauen stehen an der Spitze von Universitäten. Gerade wurde in unserem Land eine Frau als Bildungsministerin vereidigt. Das ist für Katar eine grosse Revolution. Geben Sie uns Zeit!
Homosexualität ist in Ihrem Land verboten. Was bedeutet das für Besucher?
Es gibt keine schwarze Liste. Jeder darf zur WM. Unabhängig davon, ob jemand homosexuell ist oder aus welchem Land er stammt. Wir prüfen nicht, wer welche sexuelle Orientierung hat. Homosexuelle können bei uns die Spiele schauen und ins Restaurant gehen ...
... aber sich nicht öffentlich küssen oder Händchen halten?
Man muss sich an die Regeln halten. Als Gast fragt man sich doch immer, was in einem fremden Land gilt. Niemand würde bei uns Homosexuelle auf der Strasse angreifen. Auch in demokratischen Ländern in Europa ist nicht alles akzeptiert. Wenn Sie als Homosexueller nach Ungarn gehen und sich auf der Strasse küssen, was würde dann passieren?
Können Sie sich vorstellen, dass dies in 20 Jahren bei Ihnen geschehen darf?
Ich persönlich will Männer Frauen küssen sehen.
Auch diesbezüglich gibt es bei Ihnen Regeln.
Ja, aber man sieht auch bei uns Paare öffentlich Händchen halten. Niemand würde sie deswegen auf den Polizeiposten mitnehmen. In Bern sehe ich übrigens auch nur selten Männer und Frauen auf der Strasse, die sich küssen.
Wir Schweizer sind reservierte Menschen.
Ich verstehe. Aber warum wird dann immer nur dieser eine Aspekt erwähnt, um zu zeigen, was in Katar passiert oder eben nicht passiert?
Die letzte Europameisterschaft war so politisch wie noch nie, mit Regenbogenfahnen und protestierenden Spielern. Was erwarten Sie für die WM 2022?
Wenns passiert, dann passierts.
Haben Sie keine Angst davor?
Überhaupt nicht. Jeder soll seine Meinung ausdrücken dürfen. Wir fürchten uns nicht davor, dass Spieler politische Gesten machen. Es ist ein internationaler Event, ein Fifa-Event, es ist kein Katarer Event. Wir bestimmen nicht alles, die WM gehört der ganzen Welt.
Finden Sie’s überheblich, wenn der Westen Katar kritisiert?
Nein. Aber mir fällt eine gewisse Übertreibung auf, wenn es um arabische und islamische Länder geht. Da steckt wohl mehr dahinter.
Was denn?
Vergessen Sie nicht: Wir überwanden viele Schwierigkeiten, um ein unabhängiges Land in der Region zu werden. Wir wurden von unseren Nachbarn politisch blockiert und wegen unserer Politik kritisiert. Zudem greifen uns unsere Nachbarn an, weil der TV-Sender Al Dschasira, der aus unserer Hauptstadt Doha sendet, alle Meinungen zulässt. Für all das zahlen wir als kleines Land einen hohen Preis.
Welche Ziele verfolgt der Emir mit der WM?
Wir wollen unsere Kultur zeigen, aber auch von anderen lernen. Die WM wird die Region verändern. Ob es uns gefällt oder nicht. Der Emir will Katar global integrieren. Ohne die Weltmeisterschaft wäre eine Veränderung in Katar vielleicht erst in 20 Jahren passiert. Unser Verhältnis zur Welt, das neue Arbeitsrecht, diese Fortschritte kamen in enorm kurzer Zeit. Wir Katarer müssen gerade so manche Änderungen akzeptieren.
Ein schwieriger Prozess?
Am Anfang schon. Aber als die Leute die Vorteile sahen – etwa dass unsere Wirtschaft boomt –, wuchs die Akzeptanz. Ich sage nicht, dass die gesamte Bevölkerung voll dahintersteht. Aber das ist auch gut so, es braucht verschiedene Meinungen.
Was bleibt nach dem Final am 18. Dezember 2022?
Wir wollen ein Erbe für die ganze Region und die junge Generation hinterlassen, das die WM überdauert.