Europäische Spitzenforscher sind darüber schockiert, dass die EU die Schweiz aus dem Europäischen Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen geworfen hat. Grund für diesen Schritt war das geplante Rahmenabkommen mit der EU, das die Schweiz 2021 platzen liess.
Für die europäische Wissenschaftselite ist dies aber kein Grund, die Schweiz bei den Forschungen auszuschliessen. Robert-Jan Smits, Präsident der Technischen Universität Eindhoven (NL) und ehemaliger Generaldirektor für Forschung und Innovation der EU-Kommission, sagt auf sciencebusiness.net: «Ich finde das eine schockierende und schlechte Nachricht für die europäische Wissenschaft.»
«Der EU-Kommission zu sehr hörig»
John Wood, ein ehemaliger ESFRI-Vorsitzender, bezeichnet den Ausschluss der Schweiz als «absurd». Er erscheine ihm fast «boshaft». Da mit Grossbritannien und der Schweiz zwei «wichtige Wissenschaftsländer» ausgeschlossen werden, könne das ESFRI nicht mehr behaupten, die europäische Forschungsinfrastruktur zu repräsentieren.
Wood wirft dem ESFRI vor, dass es von einer freien Organisation der EU-Mitgliedstaaten zu einem Gremium verkommen sei, das der EU-Kommission zu sehr hörig sei. «Sie sollten entscheiden, nicht die Politiker», sagte er. Das ESFRI fälle nun «Urteile über Dinge, statt ein offenes Diskussionsforum zu sein».
Wood prophezeit, dass nach dem Ausscheiden der Schweiz Forschungsdiskussionen zunehmend in bilateralen Gesprächen und somit ausserhalb des ESFRI stattfinden würden. «Das ESFRI hat eine grossartige Arbeit geleistet, aber ich frage mich, wohin es sich entwickelt.»
Das ESFRI wurde 2002 gegründet, um ein undurchsichtiges System zu ersetzen, bei dem die grössten Wissenschaftsmächte der EU hinter verschlossenen Türen über den Infrastrukturbedarf entscheiden.
Forum überlegt Anpassung
Jana Kolar, ESFRI-Vorsitzende, betonte, dass die Forschungs- und Innovationszusammenarbeit zwischen der EU und der Schweiz Teil der internationalen Beziehungen sei und dass eine Rückkehr der Schweiz zum ESFRI – selbst nur als Beobachterin – «von politischen Entscheidungen auf höchster Ebene abhängt».
Die EU-Forschungskommissarin Mariya Gabriel fordert, dass sich die Schweiz wieder in breitere Gespräche einbringen müsse. «Wir freuen uns darauf, die Teilnahme der Schweiz zu erneuern und sie so bald wie möglich auf allen Ebenen wieder einzubeziehen, um eine engere Zusammenarbeit zu ermöglichen.»
Möglich ist, dass es bald eine Annäherung geben wird. Denn das ESFRI führt laut Gabriel zurzeit «allgemeine Überlegungen zu seiner Arbeit mit Drittländern» durch. Das Ergebnis, das auch das Verhältnis zur Schweiz neu definieren könnte, wird dieses Jahr erwartet.
Schweiz ist wichtiger Forschungsstandort
Die Schweiz ist stark in die Landschaft europäischer Forschungsinfrastrukturen eingebunden und Sitz des CERN in Genf. In der Schweiz befinden sich auch weitere hochentwickelte Infrastrukturen wie Anlagen des Paul-Scherrer-Instituts in Villigen AG, das Swiss Plasma Center in Lausanne, das Schweizer Zentrum für wissenschaftliches Rechnen in Lugano oder die hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch.
Zudem ist sie aktives Mitglied der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), des European Southern Observatory und, als Gründungsmitglied und Depositarstaat, des European Molecular Biology Laboratory. (gf)