Der Sieg der vereinigten Linken bei den französischen Parlamentswahlen ist in erster Linie ein republikanischer Aufbruch. Ohne den effizienten und auch ein bisschen zynischen «Damm» gegen Le Pens Rassemblement National und ohne die massiven Rückzüge drittplatzierter Kandidaten in über 200 Wahlkreisen, in denen das RN stärkste Kraft geworden war, hätte die Neue Volksfront der Linken nie die Wahl gewonnen. Das Manöver hat sie vor das Makrons-Bündnis Ensemble und die Partei von Marine Le Pen katapultiert.
Muss das Land nun von dieser Neuen Volksfront regiert und ihr Programm vollständig umgesetzt werden? Es wäre keine korrekte Bestandsaufnahme des politischen Frankreichs im Juli 2024. Denn die Wahlkarte zeigt weiterhin eine festgefahrene Situation.
Das in drei Blöcke aufgeteilte Land hat sich lediglich dafür entschieden, weiter zu hoffen. Frankreich weigert sich, die Tür zuzuschlagen und sich auf die Konfrontation mit Europa einzulassen. Eine Hoffnung, die – wie immer in Frankreich – von den sozialen Versprechungen der Linken genährt wird. Sie hat unter anderem in Aussicht gestellt, die symbolträchtige Anhebung des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre wieder rückgängig zu machen.
Eine Hoffnung, die Emmanuel Macron nicht verkörpern konnte. Der Präsident wird stattdessen an den Rand gedrängt und ist nun gezwungen, sich mit dem Parlament zu arrangieren, das er in der Vergangenheit oft verachtet und brutal behandelt hat.
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Die drei Drittel
- Die Realität dieser überraschenden Wahl: Frankreich weigert sich noch immer, sich für eine Seite zu entscheiden. Ein Drittel der Bevölkerung ist wütend auf die Pariser Eliten, ist besessen vom «grossen Bevölkerungsaustausch» und erbost über das, was sie als fatalen sozialen Abstieg wahrnimmt. Diese Bürgerinnen und Bürger wollen die Zügel des Landes nach wie vor Marine Le Pen anvertrauen, die bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2027 erneut kandidiert.
- Das zweite Drittel ist weitaus uneiniger, als es den Anschein macht. Es ist nach wie vor von den Vorteilen einer offenen Wirtschaft überzeugt, will aber, dass soziale Ungleichheit mit Staatsgeldern stark ins Gleichgewicht gebracht und dass Klimawandel bekämpft wird.
- Das letzte Drittel zwischen der traditionellen Rechten und dem Macron-Lager ist zerrissen – gefangen in der Falle der siebenjährigen Präsidentschaft von Emmanuel Macron. Der Präsident stellte seinem Land oft die richtige Diagnose, übte seine Macht aber viel zu einsam, von oben herab und arrogant aus.
Die Tatsache, dass Jean-Luc Mélenchon, der Vorsitzende der radikal-linken Partei La France insoumise, seine Rede am Abend des zweiten Wahlgangs mit den Versen eines Dichters beendete, sagt alles aus, was in dieser schnellen Wahl steckt. Die Franzosen haben sich mit ihrer hohen Wahlbeteiligung für die Freiheit entschieden und der Staatsspitze signalisiert, dass die Nationalversammlung in diesem zerrütteten Land zum Zentrum der Macht werden muss.
Rückkehr des Vertrauens
Die wichtigste Botschaft: Das französische System ist, das wird oft vergessen, ein parlamentarisches. Die Präsidenten der Republik haben ihm aber geschadet. Die schwierigste Frage: Wer kann heute in diesem blockierten Frankreich den Teil des Traums verkörpern, den eine Mehrheit der Wähler bewahren will?
Und wer kann vor allem diesem Land wieder zurückgeben, was ihm so sehr fehlt: Vertrauen in sich selbst?