Wie gehts jetzt weiter in Frankreich?
Macron steht besser da als gedacht

Bei der Frankreich-Wahl liegt die Linke überraschend vorn, der Premier will gehen. Muss Präsident Macron die Macht abgeben? Seine Lage ist wohl weniger dramatisch, als dies auf den ersten Blick erscheint. Hier die möglichen Szenarien.
Publiziert: 07.07.2024 um 23:02 Uhr
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Aktualisiert: 08.07.2024 um 13:17 Uhr
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Geht der Wahlpoker von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf?
Foto: IMAGO/Bestimage
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SDASchweizerische Depeschenagentur

Überraschung in Frankreich: Bei der Parlamentswahl liegt entgegen aller Erwartungen ersten Hochrechnungen zufolge das Linksbündnis vorn. Das rechtsnationale Rassemblement National schnitt deutlich schlechter ab als angenommen. Es könnte nur auf dem dritten Platz hinter dem Mitte-Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron (46) landen, wie die Sender TF1 und France 2 nach Schliessung der Wahllokale berichteten. Die absolute Mehrheit von 289 Sitzen dürfte aber keines der Lager erreichen.

Premierminister Gabriel Attal (35) zog nach der Wahl Konsequenzen und kündigte an, seinen Rücktritt einzureichen. Ob Präsident Macron das Rücktrittsgesuch annehmen wird, ist offen.

Linke sehen sich in Regierungsverantwortung

Die Linken machten nach ihrem Überraschungssieg prompt ihren Regierungsanspruch klar. «Wir haben gewonnen und jetzt werden wir regieren», sagte Grünen-Generalsekretärin Marine Tondelier (37). Auch der Gründer der französischen Linkspartei Jean-Luc Mélenchon (72) verlangte von Macron, das Linksbündnis zum Regieren aufzufordern.

Das linke Bündnis Nouveau Front Populaire könnte den Zahlen zufolge auf 177 bis 198 der 577 Sitze kommen. Macrons Kräfte bekommen demnach 152 bis 169 Mandate und das Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen und seine Verbündeten 135 bis 145.

Überraschungserfolg mit Zweckbündnis

Das Ergebnis kommt in Frankreich vollkommen überraschend. Nach der ersten Wahlrunde vor einer Woche sahen Prognosen das RN noch knapp unter der absoluten Mehrheit und damit möglicherweise in der Lage, die nächste Regierung zu stellen. Deutlich zugelegt hat das RN dennoch: Im aufgelösten Parlament hatte es noch 88 Sitze.

Linke und Macrons Mitte-Kräfte hatten vor der zweiten Wahlrunde eine Zweckallianz gebildet. Um sich in Wahlkreisen, in denen drei Kandidaten in die zweite Runde kamen, nicht gegenseitig Stimmen wegzunehmen und dem RN so lokal zum Sieg zu verhelfen, zogen sich etliche Kandidaten der Linken und der Liberalen zurück. Ihre Wählerschaft riefen sie dazu auf, in jedem Fall gegen das RN zu stimmen.

Das Ergebnis zeigt nun ganz klar: Trotz aller Zweifel hält die Brandmauer gegen Rechts. Die Wahlbeteiligung lag mit 67,5 Prozent deutlich über den Werten der vergangenen Jahre.

Führung und interne Ausrichtung der Linken offen

Frankreichs gespaltene Linke hatte sich erst vor wenigen Wochen für die Parlamentswahl zum Nouveau Front Populaire zusammengeschlossen. Bei der Europawahl Anfang Juni waren die Parteien noch einzeln angetreten. Streit gibt es innerhalb der Linken vor allem über die altlinke Führungsikone Mélenchon. Der Populist, der mit euroskeptischen Aussagen auffällt und einen klar propalästinensischen Kurs fährt, wird selbst in seiner Partei heftig kritisiert.

Eine klare Führung hat das Bündnis aus Linken, Kommunisten, Sozialisten und Grünen nicht. Auch ein gemeinsames Programm gibt es nicht.

Kommt Minderheitsregierung oder Grosse Koalition?

Wie es weitergeht, ist vorerst unklar. Ob die Linken alleine eine Minderheitsregierung auf die Beine stellen können, ist ungewiss. Die anderen Fraktionen könnten eine solche Regierung per Misstrauensvotum stürzen.

Die Linken könnten auch versuchen, von den Mitte-Kräften Unterstützung zu bekommen - entweder als eine Minderheitsregierung mit Duldung oder in einer Art Grossen Koalition. Angesichts der gegensätzlichen politischen Ausrichtungen ist allerdings nicht abzusehen, ob dies gelingen könnte. Sozialistenchef Olivier Faure (55) sprach sich zudem bereits gegen eine Koalition mit Macrons Lager aus. Der führende Sozialdemokrat Raphaël Glucksmann (44) brachte Zusammenarbeiten bei einzelnen Vorhaben ins Spiel.

Aus dem Élysée-Palast hiess es, die Frage werde sein, ob eine Koalition mit Zusammenhalt gebildet werden kann, um die absolute Mehrheit zu erreichen, wie der Sender BFMTV berichtete.

Muss Macron Macht abgeben?

Unklar ist, ob Staatschef Macron nun den Rücktritt Attals annehmen und einen Linken zum Premier ernennen wird. In einer solchen Konstellation würde Macron an Macht einbüssen, der Premier, der die Regierungsgeschäfte leitet, würde wichtiger.

Was dies für Deutschland und Europa hiesse, ist unklar und hinge wohl stark davon ab, wer auf den Posten käme. Das Linksbündnis vertritt bei vielen grossen politischen Themen sehr unterschiedliche Positionen.

Ohne Mehrheit droht Stillstand

Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung übergangsweise die Amtsgeschäfte führen oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand. Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und Neuwahlen sind erst im Juli 2025 wieder möglich.

Für Deutschland und Europa hiesse das, dass Paris als wichtiger Akteur in Europa und als Teil des deutsch-französischen Tandems nicht mehr tatkräftig zur Verfügung stehen würde.

RN-Sieg hätte Folgen für Deutschland und Europa gehabt

Brüssel und Berlin dürften von dem Wahlausgang erleichtert sein. Eine Regierung der Rechtsnationalen, wohl das Schreckszenario für Deutschland und die EU, scheint abgewendet. Das RN hält im Gegensatz zu Macron wenig von der seit Jahrzehnten engen Zusammenarbeit mit Berlin. Die Europaskeptiker streben zudem danach, den Einfluss der EU in Frankreich einzudämmen.

Zweifel am Wandel von Le Pens Partei

Den Rechtsnationalen wurde das Zweckbündnis der linken und liberalen Kräfte für die zweite Wahlrunde zum grossen Nachteil. Ausserdem gab es Aufregung um frühere, mutmasslich rechtsextreme oder antisemitische Aussagen von RN-Kandidaten. Dies säte Zweifel an der von Marine Le Pen (55) betriebenen «Entteufelung» der Partei. Mit diesem Kurs versucht Le Pen seit Jahren, ihre Partei gemässigter erscheinen zu lassen und bis in die bürgerliche Mitte hinein wählbar zu machen.

RN-Chef Jordan Bardella (28) beschimpfte die politischen Gegner noch am Abend der Wahl. Das Mitte-Lager von Macron und das Linksbündnis bezeichnete er als «Einheitspartei» und «Bündnis der Schande».

Linkes Lager profitiert von Einigkeit und Angst vor rechts

Die Linken profitierten von ihrem im Eiltempo gebildeten Bündnis. Auch dass sie die Führungsfrage offen liessen, dürfte ihnen geholfen haben, diejenigen Wähler hinter sich zu vereinen, die ein Problem mit Mélenchon haben.

Ausserdem dürften die Linken wegen der Verunsicherung und Angst vor einem historischen Rechtsruck in Frankreich und einer rechtsnationalen Regierung deutlich mehr Zuspruch bekommen haben.

Macron steht besser da als gedacht

Für den unpopulären Macron ist das Ergebnis weniger vernichtend als erwartet. Macron scheiterte zwar mit dem Versuch, die relative Mehrheit seiner Mitte-Kräfte mit den Neuwahlen auszubauen. Immerhin könnte seine Fraktion aber noch vor Le Pens Rechtsnationalen zweite Kraft werden und mit den Linken in Regierungsverantwortung sein.

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