Was für ein Paukenschlag! Der erwartete Sieg von Marine Le Pens (55) rechtem Rassemblement National ist ausgeblieben. Dafür schlugen bei der Stichwahl vom Sonntag die Linken zu.
Die neue Labour-Regierung in London, die Regierung des sozialistischen Premierministers in Spanien und die polnische Regierung, die sich um die Zukunft der Hilfe für die Ukraine sorgt, haben allen Grund, erleichtert zu sein. Doch Frankreich ist gespalten wie kaum je zuvor.
Das Rassemblement National (RN), das am ersten Wahlgang vom 30. Juni weit vorne lag, wird laut den ersten Auswertungen von der Neuen Volksfront (NFP), dem Linksbündnis, überholt, das mit 177 bis 192 der 577 Sitze in der Versammlung als stärkste Kraft hervorgehen dürfte.
Le Pen nur auf Platz drei
Die nationalpopulistische Partei von Marine Le Pen (55) und Jordan Bardella (28) hatte auf eine absolute Mehrheit von 289 Sitzen gehofft. Sie ist mit 138 bis 145 Abgeordneten weit davon entfernt und liegt sogar hinter Emmanuel Macrons (46) Bündnis (152 bis 158 Sitze) auf Platz drei. Dennoch ist es ein historischer Erfolg für diese Gruppierung, die ihren Status als grösste politische Partei des Landes bestätigt.
Die massive Wahlbeteiligung von fast 68 Prozent, ein Rekord seit 1981, zeigt die Wirksamkeit der «republikanischen Sperre» dieser Anti-RN-Allianz, die alle anderen politischen Formationen vereint hat.
Linke gebündelt
Das Hauptziel der Neuen Volksfront war, das Rassemblement National zu verhindern. Dazu hatten sich vor einem Monat im Expresstempo Linksextreme, Sozialisten, Sozialdemokraten und Grüne zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Sie einigten sich darauf, pro Wahlkreis nur einen Kandidaten zu stellen, um die Kräfte zu bündeln. Ihre Rechnung ist aufgegangen, wie das Resultat zeigt.
Zu diesem Links-Bündnis zählt auch La France Insoumise des linksextremen Jean-Luc Mélenchon (72). Er, der gerne mit antisemitischen Aussagen und mit Verschwörungstheorien provoziert, forderte umgehend, dass Präsident Emmanuel Macron (46) seinen Premierminister Gabriel Attal (35) schassen und dafür einen Vertreter der NFP als Premierminister einsetzen soll. Noch am Abend kündigte Attal dann auch seinen Rücktritt an.
Wenig überraschend prangerte RN-Chef Bardella sogleich «die Einheitspartei, die von der extremen Linken bis zu den Anhängern von Emmanuel Macron reicht» an. Er beschuldigte den Präsidenten, durch diese vorzeitige Auflösung des Parlaments das Land um den Wechsel beraubt zu haben, den er nach den 33 Prozent, die seine Partei im ersten Wahlgang erhalten hatte, für unerlässlich hielt.
Land gespalten
Emmanuel Macron selber wurde an den Wahlurnen hart bestraft. Die Klarstellung der politischen Verhältnisse, die er mit den Neuwahlen gefordert hatte, wurde zwar vorgenommen, aber nicht zu seinen Gunsten.
Wie es weitergeht, ist vorerst unklar. Mit dem Ergebnis ergeben sich verschiedene Zukunftsszenarien. Die Linken könnten versuchen, von den Mitte-Kräften Unterstützung zu bekommen – entweder als eine Minderheitsregierung mit Duldung oder in einer Art grossen Koalition.
Angesichts der gegensätzlichen politischen Ausrichtungen ist allerdings nicht abzusehen, ob dies gelingen könnte. Auch hatte etwa Premier Gabriel Attal eine Regierungszusammenarbeit mit der Linkspartei La France Insoumise explizit ausgeschlossen.
Es ist schwer vorstellbar, dass Macron die Linken regieren lassen will. Er müsste damit rechnen, dass sie einige seiner symbolträchtigsten Reformen wie die Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre wieder rückgängig machen und die von ihm bisher verhinderten Lohnerhöhungen durchsetzen würden.
Was nun?
Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand. Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und Neuwahlen sind erst im Juli 2025 wieder möglich.
Die extreme Rechte wird in Frankreich nicht regieren. Viele europäische Staats- und Regierungschefs, die sich Sorgen gemacht haben, dass Jordan Bardella Premierminister werden könnte, atmen wohl auf. Auch Spieler der französischen Fussballnationalmannschaft drückten in den sozialen Medien ihre Erleichterung aus.
Aber nichts ist klar. Frankreich ist in drei Blöcke geteilt. Emmanuel Macron hat es nicht geschafft, das politische Leben in Frankreich neu zu gestalten.