Diese Woche wird sich Europa grundlegend verändern. Zwei wichtige Länder – Grossbritannien und Frankreich – wählen je am Donnerstag und am Sonntag neue Regierungen. Die Briten müssen sich für einen neuen Premierminister entscheiden, die Franzosen für ein neues Parlament. Zwar könnten die beiden Wahlen nicht unterschiedlicher sein, doch beide werden einen grossen Einfluss auf Europa haben.
Grossbritannien – «same same but different»
Der aktuelle britische Premierminister Rishi Sunak (44) muss wohl das Zepter weiterreichen. Die Labour-Partei und ihr derzeitiger Vorsitzender Keir Starmer (61) könnten nach 14 Jahren in der Opposition am Donnerstag die Regierung des Vereinigten Königreichs übernehmen – sollten sich die Umfragen bewahrheiten. Aktuell geniesst die Mitte-Links-Partei 40 Prozent der Zustimmung, die konservativen Tories unter Sunak lediglich 20 Prozent, wie repräsentative Umfragen des britischen Senders BBC zeigen.
Was wird sich also verändern, wenn Mitte-Links die Konservativen ablöst? Erstmal nicht viel, zumindest nicht aussenpolitisch. Labour-Chef Starmer – selbst früher ein Brexit-Gegner – hat klar gesagt, dass er den britischen EU-Austritt nicht rückgängig machen werde. Allerdings wolle er das Verhältnis zur EU verbessern.
Das Wahlprogramm der Labour-Partei sieht eine Erleichterung der Grenzkontrollen vor, um die Kosten für Lebensmittel zu senken, die Tourneen von Künstlern zu unterstützen und die gegenseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen zu fördern. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehört auch ein neues Veterinärabkommen mit der EU, das den Handel verbessern soll.
Auch bei der Ukraine-Frage kündigte Starmer an, dem Kurs seiner konservativen Rivalen zu folgen, sollte er gewählt werden. Die Labour-Partei hat sich nicht nur zur Aufrechterhaltung des britischen Nato-Engagements verpflichtet, sondern auch für einen neuen «Sicherheitspakt» mit Europa geworben, auch wenn genaue Einzelheiten darüber, was dieser beinhalten könnte, vage bleiben.
Frankreich – die Zäsur
Frankreichs Wahlen unterscheiden sich in beinahe allen Punkten von den britischen Wahlen. Hier rief Präsident Emmanuel Macron (46) nach den schlechten Europawahl-Ergebnissen seiner Partei Anfang Juni Neuwahlen für das Parlament aus. Am Sonntag findet der zweite Wahlgang statt. Aktuell führt nicht seine Partei oder seine Koalition, sondern die als rechtspopulistisch bis rechtsextrem eingestufte Partei Rassemblement National (RN) unter der Führung von Marine Le Pen (55).
Sollte die RN am Sonntag ihren Einfluss im französischen Parlament ausweiten können, wird dies die französischen Beziehungen zu Europa fundamental verändern. Das grösste Problem mit der RN ist ihre prorussische Haltung. Le Pen selbst sagte 2017, dass sie Kremlchef Wladimir Putin (71) «verehre». Jordan Bardella (28), Le Pens politischer Zögling und aktueller Parteivorsitzender, machte zudem klar, dass man sich zwar an die bisherige Unterstützung für die Ukraine halten werde, aber keine Truppen senden würde – wie von Macron angedeutet. Und: Im Europaparlament hat die RN noch für keine pro-ukrainische Resolution gestimmt.
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Sollte Bardella Premierminister werden, könnte er entweder einen Guerillakrieg gegen Macron führen oder versuchen, die EU von innen zu verändern. Mit Unterstützung rechtsextremer Parteien in mehreren Ländern könnte die RN eine Sperrminorität im EU-Ministerrat bilden, den Kurs der europäischen Politik steuern, Hilfe für die Ukraine blockieren und die EU-Erweiterung verhindern. Diese Strategie könnte die Isolierung Frankreichs vermeiden, hätte aber schwerwiegende Folgen für Europa. Immerhin: Von der Idee, einen «Frexit» durchzuboxen, hat sich die Partei mittlerweile verabschiedet.
Frankreich und Grossbritannien – Zoff vorprogrammiert
Die beiden Länder haben eine schwierige Geschichte miteinander. Die Beziehungen zwischen Frankreich und Grossbritannien wird wohl nicht einfacher werden. Schliesslich soll David Lammy (51) der neue Aussenminister Grossbritanniens werden – er hat Le Pen auch schon als «Faschistin» beschimpft.
Einer der grössten Streitpunkte wird wohl die Frage der Migranten-Überquerung des Ärmelkanals sein. Einige Experten haben darauf hingewiesen, dass eine rechtsextreme Regierung möglicherweise zu einem Anstieg der Zahl der Überfahrten mit kleinen Booten nach Grossbritannien führen könnte. Denn, salopp ausgedrückt: Eine nationalistische Regierung Frankreichs – die mitunter hart gegen die Migration vorgehen möchte – wird kaum etwas dagegen unternehmen wollen, wenn Migranten aus Frankreich raus und nach Grossbritannien übersetzen möchten.