Die frostige, regnerische Luft peitscht ins Gesicht. In der tristen Landschaft taucht die ehemalige Kaserne Sjælsmark auf. Hier, eine Stunde nördlich von Kopenhagen, warten 150 Migrantinnen und Migranten auf ihre Ausschaffung. Kameras, Zaun und Stacheldraht lassen erahnen, dass die dänische Kriminal- und Gefängnisbehörde das Sagen hat – im Auftrag des Asylministers.
Sjælsmark soll zeigen, wie strikt und hart die dänische Regierung gegen Migrantinnen und Migranten vorgeht – mit Erfolg: Die Asylzahlen sind tief, der Tenor ist klar: Dänemark will flüchtende Menschen davon abhalten, ins Land zu kommen und der eigenen Bevölkerung zeigen: Die Politik handelt. Wer kein Asylrecht erhält und nicht in Dänemark bleiben darf, landet in einem Abschiebezentrum.
Ihr Konzept einer «konsequenten Rückführung» lässt europaweit Politiker staunen. Den dänischen Migrationsminister Kaare Dybvad (40) macht das stolz. «Die dänischen Visionen sind zu europäischen Visionen geworden», sagte der Sozialdemokrat letzten Herbst gegenüber Blick und betont: «Die dänische Gesellschaft ist offen gegenüber Ausländern, die legal hier sind. Alle anderen sollten zurückkehren.» FDP-Präsident Thierry Burkart forderte: «Die Schweiz soll sich ein Beispiel an Dänemark nehmen.»
Wie sieht das nun konkret aus, dieses dänische Asylsystem, und was sagen die Betroffenen?
Station 1: Ausschaffungszentrum Sjælsmark
Auf Anfrage will uns die Gefängnisbehörde keinen Zutritt ins Ausschaffungszentrum gewähren – aus «zeitlichen Gründen». Blick schafft es dennoch. Der abgewiesene tschetschenische Migrant Timur* (28) lädt den Schweizer Reporter ein. Seit anderthalb Jahren lebt er in Sjælsmark. Er redet anonym. Zu gross sei die Angst, seine Familie im russischen Nordkaukasus könnte von der Regierung verfolgt werden.
Auf einem Rundgang zeigt uns Timur sein Einzelzimmer. An der Tür klebt ein Notizzettel mit der Aufschrift «door», am Spiegel «mirror», am Stuhl «chair». Timur spricht gebrochen Englisch. Dänisch versteht der Tschetschene wenig. Neben ihm wohnen Dutzende andere Männer aus Nordafrika oder Russland. Sie teilen sich Toiletten und Duschen. Es riecht wie auf einem Bahnhofs-WC. Im Esssaal bekommen die Migrantinnen und Migranten dreimal täglich eine Mahlzeit. Besonders gut sei es nicht, sagen Timur und seine Freunde. Doch sie sind froh, überhaupt etwas essen zu können. Im Nebengebäude gibt es einen Gesellschafts- und Sportraum. Ansonsten ist das Areal trist und kahl.
«Es ist ein schrecklicher Ort», sagt Timur. «Ich möchte etwas tun, aber darf nicht.» Er sehnt sich nach einer Beschäftigung, leidet psychisch unter den Umständen dieser Warterei.
Timur flüchtete nach eigenen Angaben via Türkei über den Balkan nach Kroatien und in einem «Spezial-Taxi» mit Landsleuten nach Dänemark – das Land zufällig ausgesucht. Seine Sehnsucht nach einem freien Leben ohne Kriegseinsatz für die Russen in der Ukraine habe ihn zur Flucht gedrängt. Kroatien wäre nach dem Dubliner Abkommen für sein Gesuch zuständig und müsste ihn zurücknehmen. Weil die kroatischen Behörden sich nicht bewegen, muss Timur warten. Ohne Kooperation kann auch Dänemark nicht abschieben. Im Schnitt dauert der Prozess hier weniger als ein Jahr. Timur lebt mittlerweile anderthalb Jahre im Abschiebezentrum.
Die Abschreckung des dänischen Asylregimes zeigt Wirkung. Im Jahr 2023 beantragten nur 2500 Menschen Asyl in Dänemark. Die Schweiz zählte zur selben Zeit gut 30'000 Anträge.
Station 2: Büro Asyl-Expertin
«Die Dänen haben sich in den letzten Jahren ein Nicht-Willkommen-Image erschaffen», sagt Eva Singer vom dänischen Flüchtlingsrat. Aber sie glaubt, dass die geografische Lage Dänemarks und das soziale Netzwerk von Migranten für die Wahl des Ziellands entscheidender seien als die Massnahmen der Politik.
«Die dänische Asylpolitik ist nicht so hart, wie es sich die Regierung manchmal wünscht.» Auch den rigiden Familiennachzug – wer jünger als 24 Jahre ist, darf keinen Antrag stellen – sieht Singer nicht als massgeblichen Faktor für die tiefen Zahlen. «Kopiert nicht unsere Asylpolitik», sagt Singer.
Station 3: Quartier Vesterbro, Kopenhagen
Zwischen «Flat White» und Tempo-30-Strassen wartet Özlem Cekic (48). Hier, wo heute gut verdienende Menschen im hippen Quartier leben und alte Wohnhäuser renoviert werden, kam die Kurdin mit ihren Eltern in den 70er Jahren an. «Wer in Vesterbro lebte, verdiente sein Geld mit Putzen, Taxifahren oder in der Pizzeria – mit Tieflohn-Jobs eben.»
Was Menschen auf der Flucht heute erleben, kennt sie aus eigener Erfahrung. Diskriminierung, Hass oder Rassismus waren und sind ihre ständigen Begleiter. Özlem Cekic sass sieben Jahre für die sozialistische Volkspartei im nationalen Parlament – als erste Dänin mit Migrationshintergrund. Die Asylpolitik war ihr Ding, bis das Volk sie 2015 abwählte und ein Rechtsrutsch folgte.
Ein paar Häuser weiter liegt ihre Primarschule. Obwohl sie selbst nach Dänemark flüchtete, ist ihr bei einer zu laschen Migrationspolitik nicht wohl. «Ich bin nicht naiv», sagt sie. «Gesetze zur Regulierung von Einwandernden waren und sind notwendig.» Es gebe Grenzen für die Zahl der Flüchtlinge, die Dänemark aufnehmen und integrieren könne. «Bis jetzt ist die Integration ein Erfolg», findet sie. Die Zahlen geben ihr Recht: Im Jahr 2023 meldete Dänemark, dass 64 Prozent aller nicht-westlichen Migranten arbeiten.
Dass mittlerweile kaum noch Migranten ins Land kommen, ist Özlem Cekic aber nicht mehr ganz geheuer: «Diese Asylpolitik wird eine grosse Lücke hinterlassen.» Als ausgebildete Krankenpflegerin wisse sie, welche Folgen die Migrationspolitik auf den Arbeitsmarkt habe. «Wir haben nicht genügend Personal in der Pflege und brauchen diese Menschen.»
Eine Mehrheit der Bevölkerung sieht das anders. Nach ihr könnte die Regierung sogar noch mehr gegen irreguläre Migration tun. Der Wind ist frostig in Dänemark. Auch das Wetter ist zurzeit alles andere als einladend.
* Name geändert