Zwei Jahre noch daure der Krieg, dann sei alles vorbei, sagt Maksim (35) und schaut auf sein riesiges Weizenfeld. «Ein Jahr brauchen wir, um die Russen rauszuwerfen und das Land zu befreien», sagt der junge Bauer. «Ein weiteres Jahr brauchen wir, um die Ukraine wieder aufzuräumen. Dann ist es vorbei.»
Maksims Felder liegen keine 15 Kilometer von der Kriegsfront entfernt. In seinem Dorf ist vor zwei Wochen eine russische Rakete eingeschlagen. Der Krater ist so gross wie der Aushub einer mittelgrossen Baustelle, die Bäume rundherum sind verbrannt. In der Scheune hinter Maksims Bauernhof hausen seit dem vergangenen Frühling Dutzende ukrainische Soldaten. «Solange die hierbleiben, weiss ich, dass die Situation stabil ist», sagt Maksim. «Wenn sie zurückgehen Richtung Westen, dann weiss ich, dass etwas nicht gut ist.»
Über die Hälfte der Bevölkerung geflohen
Gut ist ein knappes halbes Jahr nach dem Kriegsausbruch nur noch wenig im Donbass. Etwa 60 Prozent der Bevölkerung sind geflohen. Vielerorts gibt es kein fliessendes Wasser mehr. Gas sowieso nicht. Am Strassenrand sieht man Menschen, die mit trockenem Gras Feuer machen und darauf kochen. Die ehemaligen Donbass-Metropolen Kramatorsk und Slowjansk wirken wie Geisterstädte. Die Blockquartiere sind menschenleer. Nur noch Soldaten und ein paar Unverzagte sind hiergeblieben. Zudem alte Leute, die noch ihre Wohnung oder ihr Haus in der Stadt haben. Es ist alles, was sie noch besitzen, und ihre einzige Sicherheit.
«Slava Ukraini!» («Sieg und Ehre der Ukraine!») rufen ein paar Säufer vor dem einzigen Einkaufsladen, der in Slowjansk (vor dem Krieg mehr als 100'000 Einwohner) noch offen ist. Ein Kriegsveteran vom ersten Donbass-Krieg 2014 sitzt nebenan in einem Rollstuhl und bettelt um ein paar Griwna.
Verschwitzte Soldaten kaufen Wasser, Wurst und Glace. Die Strassen zwischen den verlassenen Blockbauten sind mit Sandsäcken und Betonblöcken verbarrikadiert. An den Tankstellen liegen streunende Hunde herum und pinkeln an die Tanksäulen. Immer wieder dröhnt das schrille, monotone Pfeifen der Raketen-Sirenen durch die Sommerluft. Vor dem einzigen kleinen Restaurant, in dem sich die Soldaten bis letzte Woche noch stärken konnten, hängt ein Schild: «Geschlossen.»
Nur keine Bestechungsversuche
Im Stadtpark von Kramatorsk sitzt Lydia (75). Ihr Mann flucht, als der Blick-Reporter fragt, weshalb die beiden sich nicht evakuieren lassen. Er schwingt seinen Gehstock und geht. Lydia zuckt die Schultern: «Ich würde ja gehen, aber er will nicht. Und ohne meinen Mann in die Ferne, das ist unmöglich.» In der Ferne hört man Artillerieschüsse. Und was, wenn die Russen kommen? Wieder Schulterzucken: «Wer weiss schon, wie das wird. Ich bleibe, ich habe keine andere Wahl», sagt Lydia. Wir steigen ins Auto und fahren weiter zum nächsten Checkpoint.
«Wohin gehts?», will der topfitte ukrainische Soldat an einem der Checkpoints bei Kramatorsk wissen und kontrolliert unsere Pässe. Ja keine Bestechungsversuche, mahnt unser Übersetzer. Das hier seien nicht mehr die unerfahrenen Soldaten, die man am Anfang des Krieges in den Donbass schickte. Das seien Spezialeinheiten, die ganz genau wüssten, was sie tun.
«Wir werden gewinnen»
Die Elite-Soldaten an den Checkpoints im Donbass sind ein weiteres Indiz dafür, dass die «strategische Pause» der Russen hier an der Ostfront des Krieges bald vorbei sein dürfte. Zwar hat Wladimir Putin (69) seine Truppen grossmehrheitlich Richtung Süden verschoben, wo in diesen Tagen die Schlacht um die Stadt Cherson losgehen dürfte. Anstelle der russischen Armee marschieren jetzt dafür Separatisten-Gruppierungen und Verbände der gefürchteten Wagner-Truppe im Osten auf.
Präsident Wolodimir Selenski (44) hat alle verbliebenen Zivilisten im Donbass am Wochenende dazu aufgerufen, das Gebiet sofort zu verlassen. «Je weniger Menschen im Donbass bleiben, umso weniger Menschen kann die russische Armee töten», sagte Selenski. Seine Regierung fürchtet, dass viele der im Donbass Verbliebenen den Winter nicht überleben würden. Nicht nur wegen der russischen Soldaten, sondern auch wegen des fehlenden Gases. Ohne Heizung, ohne fliessendes Wasser wird es im Donbass Ende Jahr extrem gefährlich.
Vor den Checkpoints Richtung Westen stauen sich seit Sonntag die Autos. Alte sowjetische Ladas mit Sack und Pack auf dem Dach, Busse voller Flüchtender: Sie alle scheinen Selenskis Aufruf ernst zu nehmen. Dass Putin zu allem Unheil jetzt auch noch mit den neuen Hyperschallwaffen seiner Navy prahlt, macht die Situation umso bedrohlicher. Wirklich interessieren tut das hier keinen. «Wir werden gewinnen», sagt Maksim, der Bauer. «Und dann, nach dem Sieg, wird alles gut.»
Ukraine-Krieg, Donald Trumps geplante Rückkehr, globale Hungerkrise: Die Welt kommt auch nach der Corona-Pandemie nicht zur Ruhe. Deshalb baut Blick seine internationale Berichterstattung per sofort aus. Auslandsreporter Samuel Schumacher (34) berichtet neu live von den Hotspots des Weltgeschehens und geht dahin, wo die wichtigsten Geschichten unserer Zeit passieren. Nebst politischen Analysen, Breaking News und Experten-Einschätzung will Blick dem Globus aus nächster Nähe auf den Puls fühlen und erzählen, wie das Weltgeschehen den Alltag der Menschen rund um den Planeten prägt. Als Historiker, Trekkingtouren-Leiter und erfahrener Auslandsredaktor ist Samuel Schumacher bestens auf die nicht immer ganz einfache Aufgabe vorbereitet.
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