Postauto mit Berner Nummer bringt Menschen aus dem Donbass
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Mitten im Kriegsgebiet:Postauto mit Berner Nummer bringt Menschen aus dem Donbass

Blick-Reporter an der Front in der Ukraine
«Einmal Krieg retour»: Die gefährlichste Postauto-Fahrt der Welt

Zwei Schweizer Postautos bringen im ukrainischen Donbass verzweifelte Menschen von der Front weg in Sicherheit. Blick war live dabei.
Publiziert: 01.08.2022 um 00:49 Uhr
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Aktualisiert: 11.08.2022 um 09:30 Uhr
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Seit April kurvt das Berner Postauto mit der Nummer «BE 765 919» durch den ukrainischen Donbass.
Samuel Schumacher

Das Schweizer Postauto mit der Berner Nummer «BE 765 919» ist gerammelt voll. Ein Ticket hat keiner der Passagiere gelöst. Einen Fahrplan gibt es nicht. Und statt voller Freude auf die anstehende Wochenendfahrt starren die Fahrgäste – ein Grossteil Frauen und Kinder – mit leerem, traurigem Blick durch die Busfenster. Viele von ihnen haben sich gerade von ihren Männern, Vätern und Söhnen verabschiedet. Ob sie sie je wieder sehen, wissen sie nicht.

Das Berner Postauto steht vor einer Kirche mitten in Kramatorsk, einer von nur noch zwei Städten im ukrainischen Donbass, die die Russen bislang nicht erobern konnten. Wenige hundert Meter von hier weg kamen bei einem Raketenangriff am 8. April 57 Personen ums Leben, als sie am Bahnhof auf einen Zug warteten. Die Menschen, die jetzt noch hier sind, wissen, dass die russischen Raketen jederzeit auch sie treffen könnten. Das Schweizer Postauto ist vielleicht ihre letzte Hoffnung, heil aus dem Krieg im Donbass rauszukommen.

Seit April kurven die Postautos durch den Donbass

«Ich weiss gar nicht, wie viele ich hier schon rausgefahren habe», sagt Anatoly (57), der hinter dem Steuer des gelben Mercedes-Bus sitzt. «Viele, viele!», ruft er und lächelt. Seit fünf Monaten fährt er die Strecke von Kramatorsk nach Westen ins Städtchen Pokrowsk – jeden Tag. In Pokrowsk steigen die Flüchtenden um auf den Evakuationszug, der hier einmal täglich Halt macht.

Anfänglich kurvte Anatoly noch mit kleineren Bussen durch die gefährlichen Strassen im Donbass. Im April dann spendete PostAuto Schweiz zwei Busse an das Hilfswerk Libereco. An der ukrainischen Grenze übergab Libereco die beiden Fahrzeuge der Organisation Vostok SOS, die die beiden Postautos seither betreut. (Der zweite Bus mit basellandschaftlichem Nummernschild ist gerade in der Reparatur.) Dank finanzieller Unterstützung aus der Schweiz, der für das Benzin und den Unterhalt der beiden Postautos zahlt, kann Anatoly pro Fahrt jetzt bis zu 50 Menschen mitnehmen.

Selenski ruft zur sofortigen Ausreise auf

Im Bus sitzt auch Victoria mit ihren beiden jüngeren Kinder Arsene und Sophia. Sie wollen weg aus dem Donbass zu Bekannten in der Westukraine. Inna (24) aber, die älteste Tochter, will nicht mit. «Ich bin hier in ein Freiwilligen-Projekt involviert, ich will nicht einfach weg», sagt die junge Frau. «Nach dem Krieg dann mache ich vielleicht einmal Ferien in der Schweiz und fahre da dann mit dem Postauto», sagt sie.

Menschen wie Inna – so mutig sie auch sein mögen – gehen in den Augen der ukrainischen Regierung unnötige Risiken ein. Präsident Wolodimir Selenski (44) hat am Samstag alle Zivilisten ausdrücklich dazu aufgerufen, sofort aus dem Donbass auszureisen. «Je mehr Menschen das Gebiet verlassen, umso weniger Menschen kann die russische Armee töten», sagte Selenski.

Viele Flüchtlinge sind wieder zurückgekehrt

Evgeny (41) kümmern diese Worte nicht. Der Sohn des lokalen Pfarrers steht mit seiner gelben Weste neben dem Postauto und hilft einer älteren Frau, ihre Taschen in den Bus zu hieven. Drinnen in seiner Kirche stapeln sich Pasta-Packungen, Kinderkleider und alte Matratzen. «Zeitweise haben bis zu 40 Menschen in der Kirche übernachtet und auf das nächste Postauto gewartet», erzählt Evgeny. Neben ihm schmeisst ein alter Mann eine Porzellantasse auf den Boden und flucht. Er ist dagegen, dass seine Frau ins Postauto steigen will. Evgeny beruhigt ihn, wischt die Scherben mit dem Fuss zur Seite und lächelt.

Evgeny will in Kramatorsk bleiben und vor Ort helfen. Der Bedarf ist riesig, die verarmte Region voller hilfsbedürftiger Menschen. «Und viele der Flüchtlinge kehren bereits wieder zurück», sagt Evgeny und runzelt die Stirn. «Ihnen ging in der Ferne das Geld aus, es wurde ihnen langweilig oder sie hatten schlicht zu fest Heimweh.»

Dann winkt er Anatoly am Steuerrad zu. «Alle drin!», ruft er. Anatoly hebt den Daumen, schliesst die Türen. Der Motor springt an, der Blinker leuchtet auf und das Postauto fährt langsam davon, raus aus dem Kriegsgebiet, rein in die vermeintliche Sicherheit.

Für Blick an den Hotspots

Ukraine-Krieg, Donald Trumps geplante Rückkehr, globale Hungerkrise: Die Welt kommt auch nach der Corona-Pandemie nicht zur Ruhe. Deshalb baut Blick seine internationale Berichterstattung per sofort aus. Auslandsreporter Samuel Schumacher (34) berichtet neu live von den Hotspots des Weltgeschehens und geht dahin, wo die wichtigsten Geschichten unserer Zeit passieren. Nebst politischen Analysen, Breaking News und Experten-Einschätzung will Blick dem Globus aus nächster Nähe auf den Puls fühlen und erzählen, wie das Weltgeschehen den Alltag der Menschen rund um den Planeten prägt. Als Historiker, Trekkingtouren-Leiter und erfahrener Auslandsredaktor ist Samuel Schumacher bestens auf die nicht immer ganz einfache Aufgabe vorbereitet.

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