Zuerst machte Donald Trump (78) seinen Gast Wolodimir Selenski (47) im Weissen Haus zur Schnecke, dann stoppte er die Waffenlieferungen in die Ukraine und wies das Pentagon an, keine Geheimdienstinformationen mehr mit Kiew zu teilen. Die vergangenen neun Tage waren für die Ukraine die Hölle.
Was sagen jene dazu, die am meisten unter der Zeitenwende leiden und am wenigsten dagegen tun können? Was halten Ukrainerinnen und Ukrainer von Trumps Entscheidungen? Und wie schätzen sie die Chancen ein, dass ihr Land den Krieg trotz all dem noch gewinnt? Blick hat in der Ukraine nachgefragt.
Heorhiy Mazurashu (53), ukrainischer Abgeordneter
«Die Entscheidung der Amerikaner hat mich überrascht und wütend gemacht. Glaubt Trump im Ernst, die russischen Besatzer seien jetzt urplötzlich bereit, ihre Truppen abzuziehen und uns für die angerichtete Zerstörung unseres Landes zu entschädigen? Vielleicht versucht er ja auch einfach, mit seinem Verhalten Europa aufzuwecken. Die USA haben uns schon 1994 im Budapester Memorandum Sicherheitsgarantien gegeben. Wir haben damals im Gegenzug all unsere Atomwaffen aufgegeben. Hat das denn heute gar keinen Wert mehr?»
Iryna Kaptur (57), Ärztin
«Dass die USA uns nicht mehr unterstützen, macht mir Angst. Wir sind nur Menschen, uns tut dieses Allein-Gelassen-Werden weh. Besonders schmerzhaft ist der Entscheid, weil er zum Tod von noch mehr Soldaten, unschuldigen Zivilisten und Kindern führen wird. Wir müssen trotzdem einfach weitermachen. Wir glauben an unsere Kämpfer, an unsere Menschen – und an die Welt, die uns hoffentlich jetzt nicht ganz im Stich lässt.»
Yevhen Semekhin (38), Kriegsjournalist
«Warum seid ihr denn alle so überrascht über Trumps Entscheid? Er hat das doch alles schon während des Wahlkampfs angekündigt. Meine Freunde an der Front sagen mir aber, dass amerikanische Waffen da gar keine so wichtige Rolle spielen. Die Ukraine hat unterdessen neue Drohnen entwickelt und auf künstliche Intelligenz gesetzt. Wir werden auch ohne amerikanische Waffen niemals fallen. Mit dem Entscheid aber verurteilt Trump Tausende ukrainische Zivilisten in unseren Städten zum Tod, weil uns bald die Munition für unsere Patriot-Raketenabwehrsysteme ausgeht. Trump macht sich zum Terror-Komplizen.»
Eva Samoylenko (43), Schweizerin, leitete in Slowjansk ein Kinderheim und seit Kriegsausbruch das Hilfswerk Segel der Hoffnung
«Diese Woche fühlt sich an wie ein grosser Verrat. Die Ukraine hat einst ihre Atomwaffen aufgegeben im Tausch gegen Sicherheitsgarantien von den USA. Aber offenbar ist das Leben der Menschen hier in den Augen der Amerikaner eben doch weniger wert als das Leben der Menschen in Amerika oder Westeuropa. Das zerreisst mir das Herz. Dass so viele jetzt den Lügen von Trump und Musk glauben, macht mich traurig. Was ich den Menschen in der Schweiz unbedingt sagen möchte: Hier geht es nicht nur um die Ukraine. Hier wird ein Präzedenzfall geschaffen. Wenn ein mächtiges Land ein schwächeres, kleineres Land angreifen und einnehmen will, dann ist das offenbar möglich. Denkt daran: Auch die Schweiz ist ein kleines Land. Und klar: Es kostet viel, die Ukraine jetzt zu unterstützen. Aber es wird uns alle noch viel, viel mehr kosten, wenn wir sie in diesem entscheidenden Moment hängen lassen.»
Pavlo Rybaruk (26), Schriftsteller und Musiker
«Das Gute an dieser Entwicklung ist, dass Europa endlich eine Schock-Therapie erhält. Persönlich halte ich den Krieg manchmal fast nicht aus. Aber ohne Sicherheitsgarantien bleibt uns nichts anderes übrig als weiterzukämpfen. Ein Friedensabkommen mit Russland zum jetzigen Zeitpunkt würde bedeuten, dass wir unsere Werte, unsere Souveränität, ja alles, für das wir jetzt jahrelang so heftig gekämpft haben, aufgeben müssten. Klar wird mir, wie recht Henry Kissinger und John Mearsheimer mit ihrer Realismus-Theorie hatten: Die Geopolitik wird von Grossmachtinteressen bestimmt. Wirkliche Wertegemeinschaften, die etwas ausrichten könnten, gibt es keine.»
Kateryna «Ptashka» Polishuk (23), ehemalige Kriegsgefangene, Militär-Sanitäterin
«Alles, was ich zu Trump sagen kann, ist: Fuck him!»
Oleh Pylypenko (38), Ortsvorsteher von Schewtschenkowe, ehemaliger Kriegsgefangener
«Ohne amerikanische Munition können wir die russischen Raketen nicht mehr stoppen. All unsere Städte werden bald aussehen wie Bachmut und Awdijiwka. Trump sagt, wenn die USA uns nicht geholfen hätten, dann hätte die Ukraine den Krieg schon längstens verloren. Ich sage: Wenn uns die USA beim Budapester Memorandum 1994 nicht dazu gedrängt hätten, all unsere Atomwaffen aufzugeben, dann hätte dieser Krieg nie angefangen. Dass er jetzt der Hilfsorganisation USAID den Geldhahn zugedreht hat, trifft uns hart. Wir hatten in unserer Gemeinde vor, mit dem Geld eine Schule zu bauen und unser Spital ans Trinkwasser anzuschliessen.»
Illya Bogdanov (36), ehemaliger russischer Geheimdienstmitarbeiter, der Anfang des Kriegs auf die ukrainische Seite desertiert ist
«Unsere Verteidigung hängt nicht von amerikanischen Waffen ab. Anfänglich haben die amerikanischen Himars-Raketenwerfer und Atacams-Geschosse den Russen noch grossen Schaden zugefügt. Aber die Russen haben sich angepasst, die US-Waffen haben viel von ihrem Wert verloren. Was jetzt zählt, sind Drohnen, Minen und gute Radar-Systeme. Alles Dinge, die die Ukraine inzwischen selbst produziert. Und was den Stopp der Geheimdienst-Infos aus dem Pentagon angeht: Das soll man nicht überschätzen. Die Briten und Franzosen liefern uns mehr als genug Daten.»
Maxym, Kampfname «Air» (22), Soldat, verwundet im Kampf in Donetsk
«Das ist schon ein harter Schlag, dass die Amerikaner uns jetzt im Stich lassen. Aber wir sind Ukrainer. Wir werden auch das überstehen.»
Mitarbeit und Übersetzung: Yevhen Semekhin