Der Anschlag in Krasnogorsk, im Nordwesten Moskaus, schockt die Welt. Vier IS-Terroristen schiessen in der Crocus City Hall wahllos auf Konzertbesucher, stecken die Halle in Brand. Die bisherige Bilanz des islamistischen Terrors: mindestens 137 Todesopfer, rund 150 Verletzte.
Für einige Beobachter war schnell klar: Wladimir Putin (71) steckt selbst hinter dem Angriff – um ein noch härteres Vorgehen gegen die Ukraine zu legitimieren. Schach-Grossmeister und Putin-Erzfeind Garry Kasparow (60) schrieb etwa auf X, es sei «sehr wahrscheinlich», dass russische Sicherheitsdienste den Anschlag organisiert hätten. Blick ordnet ein.
Warum versagt der russische Sicherheitsapparat?
Der Oppositionelle Kasparow (60) begründete seinen Verdacht: In Moskau – einer der am stärksten bewachten Städte der Welt – könne man sich nicht gegen den Krieg äussern, ohne «innerhalb von 30 Sekunden» verhaftet zu werden.
Es rieche nach einer False-Flag-Aktion, meint auch der ehemalige russische Diplomat Boris Bondarew (44) auf X, weil jede Sicherheit für die Bevölkerung gefehlt habe in einem wachsenden Überwachungssystem. Ebenso Nikolai Mitrochin (51), Wissenschaftler an der Universität Bremen, wundert sich im Gespräch mit Al Jazeera über die völlige Tatenlosigkeit des russischen Geheimdienstes, der Nationalgarde und des gesamten Überwachungssystems vor und während des Attentats in Moskau.
Das sieht auch der finnische Militärhistoriker Emil Kastehelmi so. Auf X schreibt der Russland-Experte: «Der Terrorangriff war eine Provokation der russischen Geheimdienste im Auftrag von Wladimir Putin. Er soll härtere Schläge auf die Ukraine und eine neue Mobilmachung legitimieren.» Putin habe Erfahrung im Organisieren von Terroranschlägen, um seine eigene Macht zu stärken.
Alles spricht für den IS
Emil Kastehelmi erinnert an die Attentate auf russische Wohnsiedlungen 1999. Die möglicherweise vom russischen Geheimdienst durchgeführt und tschetschenischen Separatisten in die Schuhe geschoben wurden. Bewiesen wurde der Komplott nie. Aber: Die Attentate nahm Wladimir Putin zum Anlass für den zweiten Tschetschenienkrieg, den Russland brutal, aber siegreich führte. Im Anschluss daran gewann Putin haushoch die Präsidentenwahlen.
Die Beweise, die nach dem Moskau-Terror Stück für Stück ans Licht der Öffentlichkeit kommen, sprechen jedoch eine andere Sprache: Der Islamische Staat veröffentlichte gleich nach dem Attentat Fotos der vier Angreifer und etwas später ein Video von der Bodycam eines der Todesschützen. Auf dem Film ist zu sehen, wie der Mann wild auf die Menge schiesst. Dazu kommt: Auch für Putin sieht es nicht gerade gut aus, den Anschlag nicht verhindert zu haben. Und das, obwohl die USA schon seit Wochen genau davor warnen!
Putin selbst befeuert die Verschwörungstheorie
Putin selbst dürfte mit seinem Verhalten die Verschwörungstheorie jedoch befeuert haben. Erst 19 Stunden nach dem Attentat trat der russische Präsident vor die TV-Kameras. In seiner fünfminütigen Ansprache äusserte er sein Beileid an die Angehörigen, verurteilte den «barbarischen Terrorakt», versprach Aufklärung – und lenkte den Tatverdacht sogleich auf die Ukraine. Den IS erwähnte der Kremlchef mit keinem Wort.
Stattdessen berichtete Wladimir Putin von der Festnahme der mutmasslichen Täter auf ihrer Flucht in die Ukraine. Dort habe man ein «Fenster im Grenzübergang» für die Terroristen vorbereitet gehabt, behauptete der Kremlchef. Die Täter hätten «wie einst die Nazis» den Opfern in den Rücken geschossen. Nazis, so nennt Putin auch gerne die Ukrainer.