Blumen, Graffiti, Schilder: Die Gedenkstätte für den ermordeten George Floyd (†46) ist eindrücklich. Hier vor dem lokalen Supermarkt, südlich von Minneapolis, wurde der Afroamerikaner vor acht Tagen vom weissen Polizisten Derek Chauvin (44) brutal ermordet. Exakt eine Woche später halten am Montag die trauernden Demonstranten zusammen mit der Floyd-Familie eine Mahnwache ab.
Terrence Floyd, der Bruder von George, kniet am Tatort nieder. Umringt von Freunden beginnt er zu beten. Dabei starrt er auf die Stelle, wo George Floyd seine letzten Worte röchelte: «Ich kriege keine Luft mehr.» Terence überkommen die Emotionen, er bricht in Tränen aus. Und mit ihm viele Trauernde um ihn herum. Geschlagene fünf Minuten lang herrscht Stille, nur durchbrochen von vereinzeltem Schluchzen. Tausende Menschen, alle halten sie inne. Minneapolis steht zusammen – für George Floyd.
Der Appell von Floyds Bruder
So harmonisch waren die Szenen aus der Stadt in den vergangenen Tagen selten. BLICK ist seit Freitag vor Ort. Immer wieder eskaliert die Lage nach Sonnenuntergang. Dann erhellen Flammen den Nachthimmel. Die Augen brennen von Tränengas und schwarzem Rauch. Jeder Atemzug fällt schwer. Am Boden verstreut liegen Gummigeschosse, abgefeuert von Polizei und Nationalgarde. Drei Nächte in Folge herrscht Anarchie auf den Strassen von Minneapolis: Läden werden zerstört und geplündert, ein Polizeiposten in Brand gesetzt. Mittlerweile gehen 10'000 US-Soldaten zusammen mit der Polizei gegen die Krawallmacher vor. Ausgang: ungewiss.
Genau an diese Leute richtet Terrence Floyd am Montag einen flammenden Appell: «Ich bin nicht hier, um zu zerstören. Ich bin nicht hier, um Sachen in die Luft zu jagen. Ich bin nicht hier, um Unordnung in meiner Gemeinde zu säen. Aber was macht ihr alle? Das, was ihr hier anstellt, wird meinen Bruder nicht zurückbringen», schreit Floyd ins Megafon und erntet viel Applaus.
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«Einer erledigt, bleiben noch drei!»
Die Worte sind eine Wohltat für die Menschen von Minneapolis und die Mehrheit der Protestler, die bereits seit Tagen friedlich demonstrieren. «Lasst uns das anders machen», sagt Terrence Floyd in die Runde. «Hören wir auf zu denken, dass unsere Stimme keine Rolle spielt. Gehen wir wählen!» Floyd meint damit nicht nur die Präsidentschaftswahlen im Herbst, sondern vor allem auch lokale Abstimmungen in Minneapolis. «Es gibt so viele von uns! Und wir werden es friedlich tun», verspricht er.
Gegen Ende seiner Rede bedankt sich Terrence Floyd bei den Menschen für ihre Unterstützung. Dann fleht er sie an, seinen Bruder niemals zu vergessen und weiterhin auf Gerechtigkeit zu drängen. Die Menge erwiderte die Bitte mit Sprechchören für George Floyd. Da huscht sogar Terrence ein kurzes Lächeln übers Gesicht. Dann schreit er seine letzten Worte ins Megafon: «Einer erledigt, bleiben noch drei!» Damit gemeint sind die drei der vier Polizisten, die auch am Montag noch immer auf freiem Fuss sind.