Vor genau drei Wochen sind Präsident Wladimir Putins (69) Truppen in die Ukraine einmarschiert. Militärisch hat der Kreml-Chef seither meist nur kleinere Siege erzielt, hauptsächlich im Süden. Vor allem aber ist sein Vormarsch gebremst worden. Sein Plan, die Ukraine mit einem Blitzkrieg einzunehmen, scheiterte.
Putins Plan B, mit einer überlegenen Streitmacht die Ukrainer im Häuserkampf zu besiegen und die Städte einzunehmen, ist ebenfalls fehlgeschlagen.
Darum braucht der russische Präsident nun schon wieder einen neuen Plan. Dieser wird, so sehen es diverse Experten, vor allem von zwei Elementen geprägt sein: Rücksichtslosigkeit und Brutalität. «Putin hat zu Beginn vier grosse Fehleinschätzungen begangen», sagt Marcel Berni (33), Strategieexperte der Militärakademie an der ETH Zürich, zu Blick. «Er hat das eigene Militär überbewertet, das in Georgien und auf der Krim schnelle Siege erzielte. Er dachte, der ukrainische Widerstand sei viel kleiner. Er glaubte zudem, den Westen zu entzweien, aber das Gegenteil ist passiert. Und er hoffte, seine eigene Bevölkerung stehe viel stärker hinter ihm.»
Schwere Artillerie, grosse Zerstörung
Um doch noch zu siegen, werde er nun die nächste Stufe auf der Eskalationsleiter erklimmen und auf Angst als seinen grossen Verbündeten setzen. Dabei stehe vor allem die ukrainische Zivilbevölkerung im Fadenkreuz, deren Moral er brechen müsse.
Wollte er diese zu Beginn noch schonen, werde nun das Gegenteil der Fall sein. Diese neue Strategie werde geprägt sein durch den Einsatz schwerer Artillerie, die aus der Ferne auf Städte abgefeuert und grosse Zerstörung verursachen werde. Zudem werde er vermehrt auf seine Luftwaffe und auf ausländische Kämpfer setzen, glaubt Berni. «Putin wird vermehrt westlich des Dnepr aktiv werden müssen, um Freiwillige und Hilfsorganisationen abzuschrecken und so den Nachschub für die Ukrainer einzuschränken.»
«Putin wird es wohl nie schaffen»
Raketen, die in den vergangenen Stunden mitten in Kiew und anderen Wohngebieten abgeworfen werfen, legen ein schreckliches Zeugnis davon ab, dass die neue Strategie bereits umgesetzt wird. «Putin hofft, dass mit mehr Opfern der Rückhalt für Selenski kleiner wird und die Russen einfacher vorwärtskommen», sagt Berni. Vor allem hoffe er, dadurch bei kommenden Verhandlungsrunden seine Machtposition zu stärken, weil er klarmache, vor nichts zurückzuschrecken.
In dieser Verhandlungsposition ist er derzeit nicht. Seine Offensive stockt praktisch überall. Dabei wäre es laut Berni nun wohl Putins Ziel, die Südfront mit der Nordostfront zu vereinen. Dann wären die gesamten ukrainischen Ost-Truppen abgeschnitten und die Russen könnten zuerst dieses Gebiet sichern, um dann weiter in den Norden und Westen vorzustossen. Doch davon sind die Russen weit entfernt. «Ich sehe nicht, wie das funktionieren soll. Der ukrainische Widerstand ist zu gross.» Je länger er den Krieg beobachte, umso mehr komme er zur Ansicht, «dass Putin es wohl nie schaffen wird, die Ukraine einzunehmen und eine eigene Regierung einzusetzen».