Jahrelang war Griechenland das grösste Sorgenkind der europäischen Wirtschaft: hohe Arbeitslosigkeit, Korruption, kaum Kreditwürdigkeit und horrende Schulden. Zeitweise drohte das Land sogar, aus der Eurozone zu fliegen. Inzwischen hat sich die Lage deutlich verbessert. So deutlich, dass das britische Wirtschaftsmagazin «The Economist» Griechenland zur «Besten Volkswirtschaft 2023» gekürt hat – und das zum zweiten Mal in Folge.
Das Comeback ist umso beachtlicher, weil Griechenland während der Schuldenkrise in den 2010er-Jahren mehrfach kurz vor dem Staatsbankrott stand. Bitter: Laut dem Magazin belegt die als Vorzeige-Wirtschaft geltende Schweiz nur den 13. Platz, Deutschland liegt mit Platz 27 noch weiter zurück. Wie hat Griechenland also das Wirtschaftswunder geschafft?
Die Zahlen sprechen für Griechenland
Das Land ist seit seinem tiefen Fall während der Eurokrise weit gekommen: Kaum eine andere Volkswirtschaft aus der Eurozone hat sich so schnell von der Coronakrise erholt wie die von Griechenland. Die Wirtschaftsleistung stieg 2021 um 5,4 Prozent, 2022 waren es 8,4 Prozent. Deutschlands Bruttoinlandprodukt (BIP) stieg 2021 um 2,7 Prozent an, 2022 waren es 1,9 Prozent. In der Schweiz war es für 2021 ein Wachstum von 4,2 Prozent, 2022 wuchs das BIP um 2,6 Prozent.
Die Zahlen von «The Economist» zeigen auch: Während die Inflation in der Schweiz (1,2 Prozent) insgesamt tiefer ist als in Griechenland (3,4 Prozent), konnte Griechenland die «Inflationsbreite» – die die unterschiedlichen Sektoren bemisst, die von der Inflation getroffen werden – um –13,3 Prozent und damit besser senken, als die Schweiz (–0,0 Prozent).
Stabile Politik als positiver Faktor
Ökonomen sind sich einig: Der Hauptgrund für die wirtschaftliche Auferstehung ist die politische Stabilität, die mit der (Wieder-)Wahl von Premier Kyriakos Mitsotakis (55) in die griechische Politik eingekehrt ist. Im Vielparteien-Parlament der Griechen erhält der Wahlsieger automatisch bis zu 50 zusätzliche Sitze und kann sich so ohne grosses Koalitionsdrama um den Wiederaufbau des Landes kümmern.
Seither hat Athen still und leise damit begonnen, seine einst gebeutelte Wirtschaft zu reformieren. Auch die grosszügige Unterstützung der Europäischen Zentralbank hat einen grossen Teil zum Erfolg beigetragen. Die Schuldenquote ist von 212 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 auf aktuell 166 Prozent geschrumpft. Denn wenn das BIP wächst, schrumpft die Schuldenquote meist automatisch. Die Exporte Griechenlands haben um fast 70 Prozent zugelegt, die verfügbaren Einkommen um gut 10 Prozent und die Investitionen aus dem Ausland um 40 Prozent.
Ausländische Investoren klopfen an
Der wirtschaftliche Aufschwung wird vor allem von zwei Branchen vorangetrieben: dem Tourismus und der Immobilienbranche. Die griechische Urlaubsbranche hat im vergangenen Jahr mit 17,6 Milliarden Euro beinahe wieder so viel umgesetzt wie vor Ausbruch der Pandemie. In ihrem Schlepptau boomt auch die Immobilienbranche – viele Griechenland-Fans wollen sich eine permanente Residenz im Land zulegen.
Dass es der griechischen Wirtschaft langsam aber sicher besser geht, merken auch Anleger am Kapitalmarkt und kaufen wieder fleissig griechische Aktien und Anleihen. Wie die Finanzagentur Bloomberg berichtet, decken sich beispielsweise Fondsmanager von JPMorgan oder Neuberger Berman zunehmend mit Schuldtiteln aus Griechenland (sowie Spanien und Portugal) ein. Und solange die einstigen Randstaaten auf Reform- und Wachstumskurs bleiben, dürfte der Appetit der Investoren für ihre Anleihen nicht nachlassen.
Glück könnte nur von kurzer Dauer sein
Doch Griechenland hat trotzdem noch immer mit Problemen zu kämpfen: Die griechische Wirtschaft ist nicht besonders produktiv. Elias Papaioannou, Dozent an der London Business School, erklärt gegenüber der deutschen Zeitung «Welt»: «Griechenland braucht weiter hohe Wachstumsraten, um wirtschaftlich zu anderen Ländern in der Eurozone aufzuschliessen.» Er prognostiziert, dass die aktuelle wirtschaftliche Erholung nur noch zwei oder drei Jahre andauern wird.
Um danach weiterwachsen zu können, braucht Griechenland laut Papaioannou vor allem diese Dinge: «Solides Wachstum, das allen zugutekommt, starke und unabhängige Institutionen, eine effiziente Justiz, schnelle Gerichte, eine unparteiische Bürokratie und unabhängige Medien – und moderne Sektoren, wie IT oder grüne Energien, mit hoher Produktivität.»