«Dieser Krieg ist anders als alles, was ich gesehen habe»
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Fotograf Alex Kühni erzählt:«Dieser Krieg ist anders als alles, was ich gesehen habe»

Berner Fotojournalist berichtet von der Front bei Bachmut
«So motiviert wie jetzt waren die Ukrainer noch nie»

Er war da, wo sich kaum einer hintraut: an der Front bei Bachmut. Kriegsfotograf Alex Kühni berichtet von einem Gefecht mit neuen Regeln, der bevorstehenden Gegenoffensive – und darüber, was die Soldaten von der Schweizer Neutralität halten.
Publiziert: 29.04.2023 um 16:57 Uhr
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Aktualisiert: 01.05.2023 um 10:22 Uhr
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Auf seiner Reise durch den Donbass trifft der Berner Fotograf Alex Kühni auf die skelettierten Überreste einer im September 2022 getöteten russischen Panzerbesatzung.
Foto: ALEX KUEHNI www.alexkuehni.com
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Zum Glück war es neblig, sonst hätten ihn die Russen auf seinem Zickzack-Kurs über einen zerbombten Acker auf der ukrainischen Seite von Bachmut direkt ins Visier genommen. Das Wetter aber meinte es gut mit dem Berner Fotografen Alex Kühni (41). Putins Soldaten in den Stellungen drei Kilometer weiter nördlich entdeckten ihn nicht – und das Schrapnell der Granaten, die im 20-Sekunden-Takt wie tödlicher Regen herunterprasselten, bohrte sich nur in die matschigen Felder. «Im Vorfeld machst du dir tausend Gedanken über Sicherheit», sagt Kühni. «Und dann bist du an der Front und wirfst alle Angst über Bord.»

Die Front ist Kühnis Arbeitsplatz. Immer wieder packt er den Fotorucksack, setzt Helm und Schutzbrille auf, wirft die Schussweste über und geht dorthin, wo die Welt gerade brennt. Vor zwölf Jahren hat er damit angefangen. Er hat den Krieg im Irak fotografiert, den Terror des Islamischen Staats (IS) in Syrien hautnah miterlebt und den Verlauf des Bürgerkriegs auf den Philippinen protokolliert.

«Die Ukraine ist anders als all diese anderen Kriege», sagt Kühni. Vor zwei Tagen ist er von den Schlachtfeldern im Donbass zurückgekehrt. Jetzt sitzt er in einem Berner Café. «Im Irak und in Syrien, da wusstest du: Die Mörser der IS-Terroristen kommen maximal drei Kilometer weit. Man konnte sich also zurückziehen und in sicherem Abstand gemütlich Pizza essen.» In der Ukraine aber sei man nirgends sicher: Langstreckenraketen und Artilleriegeschosse können jeden Punkt treffen. Jederzeit.

«Schweizer Politiker müssten mal in den Donbass»

Und allzu oft treffen sie Wohnblöcke. Wie vor wenigen Tagen in der Donbass-Stadt Slowjansk. 14 Menschen kamen ums Leben, darunter ein dreijähriges Kind. Kühni war dort: «Die Grossmutter dieses Kindes stand noch Tage nach dem Angriff schluchzend neben dem zerbombten Haus, komplett verzweifelt über den Tod ihres Enkels.»

Die Ukraine hat zu wenige Waffen, um sich vor dem Raketenterror zu schützen. Dabei wären etwa die deutschen Gepard-Panzer ideal, um Raketen vom Himmel zu holen. «Dass die Schweiz Deutschland verbietet, hierzulande produzierte Gepard-Munition an die Ukraine zu liefern, ist ein riesiges Thema an der Front.»

Mehrfach hätten ihn Offiziere darauf angesprochen. «Die Schweizer Verweigerungshaltung können sie nicht verstehen.» Vielleicht, sagt Kühni, müssten Schweizer Politiker mal im Donbass vorbeischauen, um zu begreifen, welches brutale Leid die Russen da anrichten.

Grosse Hoffnung setzen die Ukrainer auf eine viel diskutierte Gegenoffensive. Wann und wo sie genau kommt, sei auch vor Ort kaum erkennbar, erzählt der Berner. «Auf der Verkehrsachse zwischen den Städten Dnipro und Kramatorsk habe ich mehr Militärfahrzeuge gesehen als zwischen Kiew und Charkiw im Norden. Wenn ich raten müsste, würde ich auf einen ukrainischen Angriff im Südosten tippen.»

Von Kriegsmüdigkeit keine Spur

Allen im Kriegsgebiet sei klar: Das Verwirrspiel vom Herbst, als die Ukraine laut und ausführlich über die Befreiung der Schwarzmeer-Stadt Cherson spekulierte, um dann am anderen Ende des Landes riesige Gebiete rund um Charkiw zu befreien, das wird nicht ein zweites Mal funktionieren.

Er sei kein Militärstratege, sagt Kühni. Doch wenn der erfahrene Kriegsfotograf, der früher Offizier der Schweizer Armee gewesen ist, auf seinem Handy durch eine Karte des Donbass scrollt, kennt er in den umkämpften Gebieten jeden Hügel, jede Talsenke, jedes Dorf. «Ich tippe auf einen Angriff an mehreren Fronten zwischen dem nördlichen Donbass und der südlichen Stadt Saporischschja. Nach vielleicht einer Woche wird die Ukraine entscheiden, welche Stossrichtung vielversprechend ist, und dann voll darauf setzen.»

Kühni traut den Ukrainern einen Sieg absolut zu. «Ich war seit Kriegsausbruch viermal im Land. So motiviert wie jetzt waren die Soldaten noch nie.» Vor einem Jahr sei viel Unsicherheit zu spüren gewesen. «Sie wussten nicht, ob sie der russischen Übermacht standhalten. Jetzt ist ihnen klar: Sie können sie sogar zurückdrängen.»

Ein Exekutionsvideo ändert die Spielregeln

Und noch etwas sei anders als vor einem Jahr, sagt Kühni. Das jüngste Video, das die Enthauptung eines ukrainischen Kriegsgefangenen durch einen russischen Kämpfer zeigt, habe in den Soldaten an der Front etwas ausgelöst. Früher habe es so was wie Ritterlichkeit im Krieg gegeben. «Wenn du einen Panzer getroffen hast und die Besatzung davonrannte, dann hast du denen nicht in den Rücken geschossen. Ehrensache», berichtete ihm ein Kommandant. Heute halte er voll drauf. Keine Gnade mit diesen Monstern!

Und Kühni? Wird die nächsten Wochen an der Berner Schule für Gestaltung unterrichten. Innerlich zieht es ihn aber schon wieder auf die Schlachtfelder im Donbass. «Da wird Geschichte geschrieben.» Leider wohl noch eine ganze Weile.

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