Anhänger von Jair Bolsonaro stürmen Nationalkongress
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Wütende Menge in Brasilien:Hier stürmen Bolsonaro-Anhänger den Nationalkongress

Ausnahmezustand in Brasilien
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Sturm der Bolsonaro-Anhänger

Radikale Anhänger des früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro haben das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasília gestürmt. Aber warum? Und was sagt Bolsonaro dazu? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Publiziert: 09.01.2023 um 09:33 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2023 um 16:51 Uhr
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Ausnahmezustand in Brasilien: In der Hauptstadt stürmten Tausende Bolsonaro-Anhänger das Regierungsviertel.
Foto: imago/Fotoarena
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Johannes HilligRedaktor News

Was genau ist in Brasilien passiert?

Eine Woche nach dem Ende der Amtszeit des früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro (67) haben radikale Anhänger des rechten Ex-Militärs das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasília gestürmt. Sie drangen am Sonntag in den Kongress, den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz Palácio do Planalto ein.

Wie kam es zu dem Sturm?

Die radikalen Bolsonaro-Anhänger, die das Regierungsviertel angegriffen hatten, erkennen den Wahlsieg des seit Jahresanfang amtierenden linksgerichteten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (77) nicht an. Mit Gewalt wollten sie versuchen, Bolsonaro wieder als Präsidenten einsetzen.

Lula, der seit Jahren als Idol der lateinamerikanischen Linken gilt, hatte sich am 30. Oktober in der Stichwahl um das Präsidentenamt mit hauchdünnem Vorsprung gegen Bolsonaro durchgesetzt. Bolsonaro hat seine Wahlniederlage seither nicht eingestanden – und sich unter anderem geweigert, der Amtsübergabe an Lula beizuwohnen.

Wie lief der Sturm ab?

Die Polizei wirkte völlig überrumpelt. Schnell rissen die Tausenden Bolsonaro-Anhänger die Strassensperren ein und drängten die Beamten zurück. Bald standen sie auf dem Dach des Kongresses und schwenkten brasilianische Nationalflaggen. Kurz darauf drangen sie auch in den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz ein.

Im Inneren der Gebäude zeigte sich der Hass der Randalierer auf die neue Linksregierung. Sie stiessen Stühle und Schreibtische um, warfen Fensterscheiben ein, beschädigten Kunstwerke und schmierten Parolen an die Wände. Ein Angreifer nahm sogar die Bürotür des bei Bolosonaro-Anhängern besonders verhassten Bundesrichters Alexandre de Moraes (54) als Trophäe mit.

Mehrere Demonstranten nutzten das schräg geformte Rednerpult im Senat als Rutsche, Protestierende riefen Beleidigungen in Richtung der abwesenden Senatoren.

Die Schäden an Kongressgebäude, Präsidentenpalast und Oberstem Gericht sind beträchtlich. Die Gebäude gelten als Ikonen der modernen Architektur, in ihnen befinden sich zahlreiche Kunstwerke. Auf in Online-Netzwerken veröffentlichten Fotos ist zu sehen, dass ein im Präsidentenpalast ausgestelltes Gemälde des Künstlers Emiliano Cavalcanti (1897–1976) beschädigt wurde und mehrere Löcher aufwies.

Wie lange dauerte der Sturm?

Erst nach Stunden brachten die Sicherheitskräfte die Lage wieder unter Kontrolle. Die Militärpolizei rückte mit Reiterstaffeln und gepanzerten Fahrzeugen auf den Platz der drei Staatsgewalten im Zentrum der Hauptstadt vor. Spezialkräfte setzen Tränengas ein, Hubschrauber kreisten über dem Regierungsviertel. Rund 230 Verdächtige wurden festgenommen, wie Justizminister Flavio Dino (54) mitteilte.

Auf Bildern des Fernsehsenders CNN Brasil war zu sehen, wie in Gelb und Grün gekleidete Bolsonaro-Anhänger mit hinter dem Rücken verschränkten Armen und von Polizisten begleitet der Reihe nach die Rampe des Präsidentenpalastes Planalto herunterkamen. Ein Bus mit festgenommenen Demonstranten fuhr dann in Richtung einer Polizeistation ab.

Zu Beginn der Krawalle gab die Polizei allerdings keine gute Figur ab. Schon seit Tagen campierten zahlreiche Bolsonaro-Anhänger vor dem Hauptquartier der Streitkräfte. Als am Samstag und Sonntag rund 4000 weitere Unterstützer des Ex-Präsidenten in Bussen in der Hauptstadt eintrafen und zum Regierungsviertel zogen, wurden sie sogar von Beamten eskortiert. Polizisten machten Selfies mit den Demonstranten und drehten Handy-Videos, wie im Fernsehen zu sehen war.

War das die erste Aktion der Bolsonaro-Anhänger?

Nein. Seit Lula die Wahl gewonnen hat, regt sich heftiger Widerstand unter den Anhängern Bolsonaros. Sie hatten nach dessen Wahlniederlage bereits vor Militärkasernen demonstriert und Hauptverkehrsadern blockiert. Sie forderten ein Eingreifen der Armee, um eine dritte Amtszeit Lulas zu verhindern. Der linksgerichtete Politiker war bereits von 2003 bis 2010 Staatschef.

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Wie hat Bolsonaro auf die Aktion seiner Anhänger reagiert?

«Öffentliche Gebäude zu plündern und in sie einzudringen, wie heute geschehen», verstosse gegen die «Regel für friedliche Demonstrationen», schrieb Bolsonaro Stunden nach Beginn der Ausschreitungen auf Twitter. Er selbst wehre sich indes gegen die «unbelegten Vorwürfe» des derzeitigen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, schrieb Bolsonaro. Lula hatte Bolsonaro angelastet, die Angreifer «ermutigt» zu haben.

Auch Bolsonaros Partei verurteilte die Angriffe. «Heute ist ein trauriger Tag für die brasilianische Nation. Wir können mit der Erstürmung des Nationalkongresses nicht einverstanden sein», sagte der Vorsitzende von Bolsonaros Liberalen Partei (PL), Valdemar Costa Neto (73), in einem Video. «Alle geordneten Demonstrationen sind legitim. Aber das Chaos hat nie zu den Grundsätzen unserer Nation gehört. Wir verurteilen dieses Verhalten aufs Schärfste. Das Recht muss durchgesetzt werden, um unsere Demokratie zu stärken.»

Was sagt Lula zu dem Sturm?

Präsident Lula, der sich zum Zeitpunkt des Angriffs in der 2022 bei Überschwemmungen verwüsteten südöstlichen Stadt Araraquara aufhielt, nannte den Angriff «beispiellos in der Geschichte Brasiliens». Die Geldgeber hinter den Protesten würden für die «unverantwortlichen und undemokratischen Handlungen bezahlen». Die Angreifer nannte er «faschistische Vandalen».

Welche Konsequenzen gibt es schon jetzt?

Der Sicherheitschef von Brasília, Anderson Torres (47), war unter Bolsonaro Justizminister und gilt als Gefolgsmann des Ex-Präsidenten. Er wurde noch am Sonntag entlassen. Lula stellte die öffentliche Sicherheit in der Hauptstadt per Dekret unter Bundesaufsicht. Auch in der Polizei hat der frühere Staatschef Bolsonaro offenbar noch immer viele Sympathisanten. Als der Mob das Regierungsviertel stürmte, stellten sich ihm jedenfalls nur wenige Beamte entgegen.

Wie hat das Ausland reagiert?

International sorgten die Vorfälle in Brasília für Empörung. Die Szenen in der brasilianischen Hauptstadt erinnerten an die Ausschreitungen am Sitz des US-Kongresses in Washington am 6. Januar 2021. Damals hatten Anhänger von Donald Trump (76) das Kapitol gestürmt, in dem die Wahlniederlage des Republikaners gegen Joe Biden beglaubigt werden sollte. Die Menge drang gewaltsam in das Gebäude ein, fünf Menschen starben.

US-Präsident Joe Biden (80) nannte den Angriff am Sonntag «ungeheuerlich». «Unsere Unterstützung für die demokratischen Institutionen Brasiliens ist unerschütterlich», erklärte sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan (46).

Auch der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell (75) stärkte der neuen Regierung von Lula den Rücken. «Die EU verurteilt die antidemokratischen Akte der Gewalt, die am Sonntag, dem 8. Januar, im Herzen des Regierungsviertels von Brasília stattgefunden haben», teilte Borrell am Sonntagabend mit. «Die brasilianische Demokratie wird über Gewalt und Extremismus siegen», hiess es weiter.

Der deutsche Entwicklungsstaatssekretär Niels Annen (49) twitterte auf Englisch, es sei «unglaublich, den Angriff von Faschisten auf die brasilianische Hauptstadt zu sehen». Die internationale Gemeinschaft werde sich hinter Präsident Lula und den «demokratischen Institutionen Brasiliens» versammeln. Scharfe Worte der Verurteilung äusserten auch der französische Präsident Emmanuel Macron (45) sowie die Staatschefs von Mexiko und Argentinien, Andrés Manuel López Obrador (69) und Alberto Fernandez (63).

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