Der Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine im vergangenen Februar war vor allem eines: Eine versuchte Machtdemonstration Russlands. Öffentlichkeitswirksam inszenierte Russlands Propaganda Hunderte von Militärautos, Panzern und Raketenwerfer, welche die Grenze passierten. Die Wirkung nach Aussen war klar: Russland ist der Ukraine überlegen, die Eroberung des Landes eine Frage von Tagen.
Aus den Tagen sind Monate geworden – und die russische Armee ist in vielen Gebieten in Bedrängnis geraten. In den vergangenen Wochen eroberte die Ukraine tausende von Quadratkilometern zurück, Russland überliess die Gebiete teilweise sogar kampflos.
Lange Staus sind leichte Ziele
Die Armee von Kreml-Chef Wladimir Putin (70) versucht nun verzweifelt, kurz vor dem Wintereinbruch die ukrainische Elektrizitäts- und Wärmeversorgung zu kappen. Dafür schiesst sie Bomben auf die Grossstädte. Erst am Montagmorgen geriet erneut die Hauptstadt Kiew unter Beschuss.
Entscheidend für die herben Rückschläge der russischen Armee ist die Taktik. Russland setzte von Beginn weg auf den Angriff grosser Städte und stark bevölkerter Gebiete, schreibt «Forbes»-Militär-Kolumnist Wolodimir Dacenko auf Twitter. Zur Verlegung des dafür nötigen militärischen Geräts wurden vor allem Hauptverkehrsadern genutzt – ein schwerer Fehler.
Weil sehr viele Fahrzeuge auf einmal verlegt wurden, bildeten sich kilometerlange Staus. Diese waren einfache Ziele für die ukrainische Luftwaffe. Danach veränderte die russische Armee ihre Taktik und beschoss die grossen Städte in der Ukraine. Doch im Grunde blieben die Russen bei ihrer Vorhaben: Die Städte über die grossen Hauptverkehrsachsen erobern.
Laut Dacenko habe diese Strategie allerdings gleich mehrere Nachteile: Zum einen sind die Verluste hoch und die Truppen auf den Verkehrsachsen sehr exponiert. Zudem seien die russischen Truppen auf eine funktionierende Logistik und schnellen Nachschub angewiesen – beides war in den vergangenen Wochen nicht der Fall. Der Vormarsch ist wegen des Fokus auf die Städte zudem deutlich langsamer, als wenn sich die Armee auf ganze Gebiete konzentrieren würde.
Ukrainer kommunizieren besser
Die Ukrainer hingegen hatten von Beginn weg den grossen Vorteil, dass sie das umkämpfte Gelände bestens kannten. Deshalb setzten sie auf kleine, dafür mobile Einheiten, die sich auch in Wäldern und auf Feldern bewegen konnten, so Dacenko in seiner Analyse. Deshalb war und ist es den Ukrainern möglich, die russischen Truppen vom Nachschub abzuschneiden und einzukreisen.
Zudem würden die Ukrainer über eine sehr engmaschige Kommunikation verfügen. Das helfe, die feindlichen Truppen stets lokalisieren zu können und gleichzeitig den Standort eigener Einheiten genau zu kennen. Dadurch können die russischen Stellungen aus mehreren Positionen gleichzeitig angegriffen werden. Russland hingegen habe Probleme mit der Kommunikation, so der Experte. Das führte unter anderem dazu, dass sich die russischen Truppen gegenseitig beschiessen.
Befehlshaber wissen oft nicht Bescheid
Durch die mangelhafte Position gebe es auch massive Probleme bei den Befehlshabern der russischen Armee. Das Fazit des Experten ist eindeutig: «Die militärische Führung versteht die Situation oft nicht, erhält Informationen mit erheblicher Verzögerung und trifft daher viele falsche Entscheidungen. Das russische Militär zieht sich oft zurück, wenn es in den Kampf stürmen sollte. Umgekehrt setzen sie den Kampf fort, wenn sie sich zurückziehen sollten. Dies führt zu hohen militärischen Verlusten während des Rückzugs.»
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Den Ukrainern mangle es zwar beispielsweise an gepanzerten Fahrzeugen, was ein Problem in der Offensive darstelle. Dennoch sei die Armee deutlich besser organisiert und verfüge im Gegensatz zu den Russen über genaue Informationen, so Dacenko. «Die russische Armee agiert ungeschickt. Mangelnde Koordinierung, Aufklärung und Ausbildung der Soldaten verschlimmern die Situation immer mehr.»