Ann Penick ist Priesterin – doch Rom erkennt sie nicht an
«Ich konnte meine Berufung nicht ignorieren»

Ann Penick (70) hat sich zur katholischen Priesterin weihen lassen, feiert die heilige Messe. Frauen wie sie gibt es weltweit immer mehr. Doch Rom erkennt sie nicht an – und selbst in ihrer Gemeinde hat sie noch nicht alle überzeugt.
Publiziert: 12.12.2021 um 17:34 Uhr
|
Aktualisiert: 13.12.2021 um 10:53 Uhr
1/6
Berufen: die Priesterin Ann Penick.
Foto: Dermot Tatlow/laif
Fabienne Kinzelmann aus Washington

An einem Sonntag im Herbst verlässt Ann Penick ihr Haus in Maryland. Sie fährt nach Washington, mitten hinein in die US-Hauptstadt. Ihr Ziel: St. Margaret's, eine hübsche Kirche aus roten Ziegelsteinen. Während sich die Kirchenbänke füllen, nimmt Penick ihr Gewand von der Stange: weisse Albe, grünes Messgewand, goldbestickte Stola. Dann feiert sie die heilige Messe.

«Ich wollte nie katholische Priesterin werden», sagt Penick. In einem Café in Washington erzählt sie einige Wochen nach diesem Gottesdienst von ihrem Weg, den es laut der katholischen Kirche nicht geben dürfte. «Ich hatte Angst. Nein, nicht ich! Bitte nicht! Das habe ich gedacht, als ich meine Berufung spürte», sagt Ann Penick. «Ich wollte nicht gegen die Kirche rebellieren. Ich war schliesslich katholische Seelsorgerin und habe nebenher Theologie studiert.»

Doch am Ende, sagt sie, war der Ruf zu stark. «Ich wusste einfach: Das ist es, darauf habe ich mich all die Jahre vorbereitet. Dafür habe ich mich engagiert. Dafür all die theologische Arbeit gemacht.»

Katholischer Bischof weihte heimlich Frauen

Katholische Priesterinnen wie Penick gibt es weltweit immer mehr: in Albanien, in Taiwan, auch in der Schweiz. 256 sind es insgesamt bereits. Sie alle sind theologisch ausgebildet, haben ein spezielles Vorbereitungsjahr absolviert und sich von Bischöfinnen der Women’s Ordination Conference (WOC) weihen lassen – einer Art Verein berufener Frauen, den es seit 45 Jahren gibt und der sich für das Frauenpriestertum einsetzt.

«Wir dachten sehr lange, dass wir das innerhalb der katholischen Kirche hinbekommen», sagt die Bischöfin Andrea Johnson (74), die Penick geweiht hat. «Als klar war, dass das nicht passieren wird, haben wir die Sache selbst in die Hand genommen.»

Theoretisch reicht genau ein aktiver Bischof, der die Weihe spendet, um die apostolische Sukzession, die von den Aposteln ausgehende ununterbrochene Nachfolge des Bischofsamts, zu wahren. Ein solcher war nach Angaben der WOC bei der Weihe der ersten Frauen 2002 auf einem Schiff auf der Donau dabei. Er bleibt anonym, um nicht aus der Kirche ausgeschlossen zu werden.

Stimmt die Erzählung, ist es ein maximal subversiver Akt, der an den Grundfesten der katholischen Kirche rüttelt. Mehrere Quellen bestätigen die Existenz des rebellischen Bischofs, unabhängig verifizieren lässt sie sich allerdings nicht.

Früher durfte sie nicht trauen, taufen, wandeln

Eine Hirtin, die für ihre Gemeinde da ist. So versteht sich Ann Penick als Priesterin.
In ihrem grünen Messgewand steht sie hinter dem Altar. Schulterlanges braunes Haar, getönte Brille, konzentrierter Blick. Der katholische Gottesdienst ist überall auf der Welt gleich, egal ob in der Schweiz, in Panama oder hier in Washington.

Wie es die Liturgie verlangt, hebt Penick die Schale mit den Hostien in die Höhe. «... das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.» Dann den mit Wasser gemischten Wein. ​​
«... mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden.» Sie hält inne, bevor sie den Kelch langsam herabsenkt. «Tut dies zu meinem Gedächtnis.» Katholiken glauben daran, dass Jesus in diesem Moment wirklich gegenwärtig ist.

«Ich durfte auch schon vor meiner Weihe Hostien ausgeben, ich durfte sie nur nicht wandeln. Ich durfte nicht predigen, sondern nur ‹Reflexionen› halten. Paare trauen oder taufen durfte ich nicht», erzählt Penick über ihre früheren Wortgottesdienste. «Als wäre mir beim Dienst immer eine Hand hinter den Rücken gebunden.»

Eine liberale Gemeinde ist ihre Heimat

Die Gemeindemitglieder sind stolz auf ihre katholische Priesterin. «Wenn Ann den Gottesdienst hält, ist das etwas Besonderes. Ihre Vorbereitung ist exzellent, und sie bringt eine andere Perspektive mit als männliche Priester», sagt Henry, einer der vielen langjährigen Gottesdienstbesucher. «Für mich vervollständigen Frauen das Bild Gottes, und sie bringen pastoral und spirituell eine Erfahrung mit, die nur Frauen haben», sagt auch Tom, der mit seinem Mann gekommen ist. «Ich kann es mir gar nicht mehr anders vorstellen», sagt Myles, ein Endzwanziger. «Ich habe das Gefühl, ich bekomme hier etwas extra, das ich woanders nicht bekommen habe.»

Penicks Gemeinde ist ein Zusammenschluss queerer Katholiken. Schwule und Lesben gründeten den Ortsverband der landesweiten Bewegung «DignityUSA» 1972 an der renommierten Georgetown University in Washington.

Doch 14 Jahre nach ihrer Gründung schmiss die von Jesuiten geleitete Universität die zwischenzeitlich auf rund 100 Besucher der Sonntagsmesse gewachsene LGBTQ-Gemeinde raus. Der Grund: ein Brief aus dem Vatikan, der die Nutzung von Kircheneigentum für Schwule verbot. Die Glaubenskongregation unter dem Vorsitz von Kardinal Joseph Ratzinger (94), dem späteren Papst Benedikt, schrieb, Homosexuelle seien «wesenhaft gestört».

Unter Protest veranstalteten die Kirchenmitglieder ihren Umzug in die liberale
St. Margaret's Episcopal Church. Hier sind sie bis heute.

Nicht alle Gemeindemitglieder sind überzeugt

Trotzdem haderten auch sie, die selbst Ausgrenzung erfahren haben, mit der Akzeptanz katholischer Priesterinnen. Erst seit Anfang 2017 darf Ann Penick hier den Gottesdienst halten. Vier Jahre lang diskutierten die Gemeindemitglieder zuvor, wogen ab, stritten, veranstalteten gar einen Probe-Gottesdienst.

«Ich nehme bis heute nicht an den Gottesdiensten der Frauen teil, denn das ist für mich jeweils nicht die heilige Messe», sagt Bob Miailovich (83), Gemeindemitglied seit 45 Jahren. «Das sind wundervolle Frauen, aber sie sind für mich keine katholischen Priesterinnen.» Der Grund: sein Glaube – und die Politik. «Wir kämpfen schon immer dafür, in der Kirche überhaupt akzeptiert zu werden. Mit jedem Kompromiss rücken wir noch etwas weiter weg von Rom.»

Doch an der Basis tut sich was. Immer lauter und sichtbarer begehren Frauen und Progressive gegen die Geschlechterdiskriminierung in der katholischen Kirche auf. Das Bündnis Maria 2.0 schlug im Februar dieses Jahres demonstrativ sieben Reformthesen an die Türen katholischer Kirchen. Eine davon: die Frauenordination. Im katholikennahen Herder-Verlag erschien in diesem Jahr das Buch «... weil Gott es so will»: eine Textsammlung von 150 Frauen über ihre Berufung zur Diakonin oder Priesterin.

Wer sich allerdings «illegal» weihen lässt, ist raus. Die Weihe der «Donau-Sieben» wurde von Kirchenoberen als «Sektenspektakel» abgetan. Monika Wyss (62), die einzige römisch-katholische Priesterin der Schweiz, ist nach eigenen Angaben nicht exkommuniziert worden.

Die Schweizer Bischofskonferenz will das nicht bestätigen. Dafür sei ausschliesslich der Heilige Stuhl zuständig. Überhaupt habe sie «gar keine Informationen» über «eine allfällige Weihe (...) und wer diese und nach welchem Ritus getätigt haben soll», teilt Sprecherin Encarnación Berger-Lobato auf Anfrage mit.

Der Fall Wyss zeigt: Obwohl sich die Frauen oft jahrzehntelang als katholische Wissenschaftlerinnen und Seelsorgerinnen verdient gemacht haben, werden sie nach ihrer Priesterinnen-Weihe in den Kirchenstrukturen marginalisiert.

Konvertieren kommt nicht infrage

Die katholischen Priesterinnen setzen auf zivilen Ungehorsam. Auch bei den Episkopalen schufen progressive Bischöfe mit illegalen Frauenweihen Tatsachen, bevor das kanonische Recht geändert wurde.

Dabei hätte es die berufenen Frauen mit einem Kirchenwechsel einfacher. Die anglikanische Kirche etwa ist zumindest sehr ähnlich, auch die Christkatholiken lassen Frauen als Priesterinnen zu. Warum ist Ann Penick nicht konvertiert? «Weil die katholische Kirche meine Heimat ist», sagt sie ohne Zögern.

Oberster Schweizer Bischof befürwortet Frauenweihe

Für viele Laien wie Kleriker ist es längst keine Frage mehr, dass Frauen Zugang zum Amt haben sollten. Auch der aktuelle Vorsitzende der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), der Basler Bischof Felix Gmür (55), ist bekanntermassen ein Unterstützer der Frauenordination und hält auch den Zölibat, die Ehelosigkeit, nicht für zwingend notwendig.

Als Basler Bischof sprach sich Gmür offen dafür aus, Frauen in «strategisch wichtige Positionen» zu bringen und in der «Frauenfrage Lösungen zu finden», welche allerdings die «Einheit» nicht gefährden dürften: «Wenn wir Diakoninnen einsetzen, dann müssen Frauen aber auch Bischöfinnen werden dürfen.» Als Bischof befinde er sich aber «gewissermassen im Sandwich zwischen der weltkirchlichen Dimension und der Realität der Ortskirchen».

Als Vorsitzender der SBK ist Gmür mit öffentlichen Äusserungen zurückhaltender geworden.

Für viele Laien wie Kleriker ist es längst keine Frage mehr, dass Frauen Zugang zum Amt haben sollten. Auch der aktuelle Vorsitzende der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), der Basler Bischof Felix Gmür (55), ist bekanntermassen ein Unterstützer der Frauenordination und hält auch den Zölibat, die Ehelosigkeit, nicht für zwingend notwendig.

Als Basler Bischof sprach sich Gmür offen dafür aus, Frauen in «strategisch wichtige Positionen» zu bringen und in der «Frauenfrage Lösungen zu finden», welche allerdings die «Einheit» nicht gefährden dürften: «Wenn wir Diakoninnen einsetzen, dann müssen Frauen aber auch Bischöfinnen werden dürfen.» Als Bischof befinde er sich aber «gewissermassen im Sandwich zwischen der weltkirchlichen Dimension und der Realität der Ortskirchen».

Als Vorsitzender der SBK ist Gmür mit öffentlichen Äusserungen zurückhaltender geworden.

Es ist der gleiche Grund, warum sie auch die Missbrauchsskandale nicht aus der Kirche getrieben haben: ein tiefer Glaube. Ein Wohlfühlen in den Riten und der Gemeinschaft. Und die Hoffnung, die Institution von innen heraus verändern zu können.

Penick schloss sich der katholischen Kirche als Teenager an. «Martin Luther King wurde umgebracht, Robert Kennedy wurde umgebracht, der Vietnam-Krieg lief, und ich habe mich nach Frieden und Gerechtigkeit gesehnt. Ich mochte, wie meine lokale Kirche die Themen adressierte.»

Katholisch ja, Hierarchie nein

Mit 20 Jahren liess sich Penick taufen, übernahm Ehrenämter, spielte Gitarre. Der Glaube begleitete sie während ihres Studiums in europäischer Geschichte in Chicago, bei der Flüchtlingsarbeit in Österreich und einem Auslandsaufenthalt in Deutschland. «Damals habe ich für mich entschieden, dass es darauf ankommt, wie ich meinen Glauben lebe und wie ich mich äussere. Unabhängig davon, was die Hierarchie sagt.»

Und die Kirche gab ihr auch viel Halt. Als sie sich von ihrem ersten Mann scheiden liess, fand sie Wärme und Unterstützung. Sie arbeitete in verschiedenen kirchlichen Positionen, war Seelsorgerin an der renommierten Tufts University in Massachusetts. Und ein katholischer Priester, dem sie sich anvertraute, war es gar, der Penick ermutigte:
«Du kannst deine Berufung nicht ignorieren.»

Steht Penick am Altar, kann man sehen, wie gut Priesterinnen der katholischen Kirche tun könnten. Wie schön und krafterfüllt die Eucharistie von einer Frau gefeiert werden kann – wenn man sie nur lässt.

Penick hat fast alles, was zum Priestertum gehört: die Ausbildung, die Weihe, eine Gemeinde. Doch es nagt an ihr, dass Rom sie, ihre Berufung und die Gläubigen negiert. Sie weiss: Das ist eine Frage der Zeit. Aber Penick ist nun eben auch schon 70 Jahre alt, und die Mühlen der katholischen Kirche mahlen langsam. Sie möchte in einer katholischen Kirche die Messe halten dürfen. «Dass ich das nicht darf, bricht mir das Herz.»

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?