Amélie Lévêque (43) wurde Opfer des Horror-Arztes in Frankreich
«Wenn das Urteil fällt, möchte ich mir sagen können: Das wars»

Die Französin Amélie Lévêque geht davon aus, dass sie vom Arzt Joël Le Scouarnec als Kind missbraucht wurde. In dessen perversen Berichten findet sich jedoch nur wenig über die damals Neunjährige. Bald sagt sie gegen ihren mutmasslichen Peiniger aus.
Publiziert: 17:42 Uhr
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Aktualisiert: 17:50 Uhr
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Amélie Lévêque wurde nach eigenen Angaben Opfer des Horror-Arztes Joël Le Scouarnec.
Foto: AFP

Auf einen Blick

  • Amélie Lévêque wurde nach eigenen Angaben durch den Arzt Joël Le Scouarnec vergewaltigt
  • Le Scouarnec wird des Missbrauchs von Hunderten minderjährigen Patienten verdächtigt
  • Lévêque wird am 7. März vor Gericht aussagen
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Marian NadlerRedaktor News

Amélie Lévêque (43) wusste immer, dass bei ihrem im Januar Klinikaufenthalt 1991 und der damals durchgeführten Blinddarm-OP «irgendetwas passiert» sei, wie sie in der vergangenen Woche der französischen Regionalzeitung «La Montagne» sagt. Sie war 9 Jahre alt. 

Ihre Kindheit und Jugend seien von einer Phobie vor Spritzen und dem medizinischen Umfeld im Allgemeinen geprägt gewesen, erzählt sie. Dazu kamen «Angst vor Einsamkeit, Essstörungen, unerklärliche Episoden». Lange konnte sie sich nicht erklären, woher diese Angstzustände kamen.

«Alles kam wieder hoch»

Erst, als sie «zufällig» auf einen Artikel in der Lokalzeitung stösst, wird ihr bewusst, was Anfang 1991 passiert ist. Der Text handelt vom Arzt Joël Le Scouarnec (74). Er wird des sexuellen Missbrauchs Hunderter minderjähriger Patienten verdächtigt – und praktizierte in den 80er- und 90er-Jahren in Loches, wo Lévêque aufwuchs. «Vielleicht kommt also alles daher?», habe sie sich gefragt.

Und tatsächlich: Ein Blick in Lévêques Krankenakte bestätigt, dass sie als Kind in die teuflischen Hände von Le Scouarnec gelangte. Lévêque sucht eine Therapeutin auf. «Innerhalb von Sekunden fand ich mich als Neunjährige im Aufwachraum der Klinik wieder. Alles kam wieder hoch. Die Empfindungen, die Gerüche, die Kälte, die Hitze. Die Vergewaltigung. Alles. Es war da, in meinem Körper», berichtet sie. Bei der zweifachen Mutter wird eine «Posttraumatische Belastungsstörung» diagnostiziert.

Amélie Lévêque erlebte weitere Schicksalsschläge

Als das Geheimnis gelüftet ist, ist nichts mehr wie vorher. «Alles fiel auseinander, auch ich», erzählt sie. Schwere Depression, Insolvenz der Firma, die sie gemeinsam mit ihrem Mann leitet, Scheidung. «Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich es endlich geschafft habe, die Abwärtsspirale zu stoppen», ergänzt sie.

In den meisten Fällen soll Le Scouarnec äusserst präzise Berichte zu den Übergriffen verfasst haben. Im Fall von Lévêque findet sich laut «La Montagne» jedoch nur ihr Vor- und Nachname, ihr Alter, ihre Adresse sowie eine kurze Beschreibung eines Blicks auf ihren Intimbereich.

Aussage am 7. März vor Gericht

«Meine grösste Angst ist, dass die Justiz seinen Standpunkt vertritt und mir am Ende des Prozesses der Opferstatus verweigert wird», befürchtet sie. «Obwohl ich es weiss. Ich weiss, dass er mich vergewaltigt hat.»

Den Richter hat sie um ein Treffen mit dem wahrscheinlich schlimmsten Pädophilen in der Geschichte Frankreichs gebeten. «Ich wollte ihn unbedingt wiedersehen, mit ihm reden, ihm erzählen, was er mir angetan hat.» Dazu kam es nie.

Stattdessen wurde Lévêque für den 7. März vorgeladen, um vor Gericht angehört zu werden. «Wenn das Urteil fällt, möchte ich mir sagen können: Das wars, es ist vorbei, das liegt hinter mir».

Um die dem Arzt angelasteten Taten in dem bislang wohl grössten Prozess um Kindesmissbrauch in Frankreich aufzuarbeiten, wurden in der Provinzstadt Vannes eigens Gebäude in der Nähe des Gerichts mit Millionenaufwand hergerichtet. Sie müssen den knapp 300 Opfern und ihren Anwälten Platz bieten. Hunderte Journalisten begleiten den Prozess, der am Montag startete.

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