Alarmstimmung in Europa: Wie nahe sind wir einem Krieg?
Vier Szenarien, wie Russland die Nato angreifen könnte

Namhafte Militärexperten warnen vor einem Krieg zwischen Russland und der Nato, der schon bald beginnen könnte. Blick erklärt die vier wichtigsten Szenarien, erläutert, was die Suwałki-Lücke und das Zapad-Manöver sind, und sagt, welche Länder zuerst gefährdet sind.
Publiziert: 20.04.2025 um 18:56 Uhr
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Aktualisiert: 08:44 Uhr
Ein litauischer Soldat bei der litauisch-polnischen Militärübung «Brave Griffin 24/II» im Dorf Dirmiskes in der Nähe der Suwalki-Lücke (26. April 2024).
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

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Daniel JungRedaktor News

Militärexperten in Alarmstimmung: Keine Woche vergeht, ohne dass sie vor einem grossen Krieg mit Russland warnen. Die Gefahr droht besonders dann, wenn Wladimir Putin (72) den Ukraine-Krieg zu für ihn günstigen Bedingungen beenden kann. Nun mahnte der britische Militärexperte Ed Arnold, dass die deutsche Regierung für ihre geplanten Militärinvestitionen keine zehn Jahre Zeit habe. Arnold rät, vor allem Artilleriemunition schnell aufzustocken und die Bestände an Taurus-Marschflugkörpern zu erhöhen. Ein Krieg zwischen den Russen und der Nato drohe bereits 2027. 

Zuvor hatte im Januar der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (65) explizit vor einem Angriff Putins auf ein Nato-Mitgliedsland gewarnt. Und im März sprach der deutsche Militärhistoriker Sönke Neitzel (56) vom «letzten Friedenssommer». Blick zeigt vier Szenarien auf, wie, wo und wann es zum Krieg zwischen Russland und der Nato kommen könnte. 

1

Begrenzter militärischer Angriff im Baltikum

Nach einem Sieg in der Ukraine greift Russland gezielt eine estnische Kleinstadt wie Narwa oder die Ostsee-Insel Hiiumaa an, begleitet von Terroranschlägen in England und Deutschland. Im Buch «Wenn Russland gewinnt» nennt der deutsche Politikwissenschaftler Carlo Masala (57) dafür sogar ein mögliches Datum: den 27. März 2028. Ziel ist es, die Entschlossenheit der Nato zu testen, ohne einen umfassenden Krieg auszulösen. Russland zählt auf die Zurückhaltung der USA und europäischer Staaten, für ein kleines Gebiet einen Atomkrieg zu riskieren. Masala betont, dass Russland das Überraschungsmoment nutzen würde, um die Schwächen Europas auszunutzen, speziell die mangelnde Verteidigungsfähigkeit ohne die USA. 

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Sollte der Ukraine-Krieg günstig für ihn ausgehen, könnte er bald die Beistandsklausel der Nato testen: der russische Präsident Wladimir Putin.
Foto: Imago

Masala sieht das Baltikum als besonders gefährdet, da ein begrenzter Angriff ein kalkuliertes Risiko darstellt, das die Nato vor die schwierige Entscheidung stellt, ob sie den Bündnisfall (Artikel 5) aktiviert.

2

Vorstoss in die Suwałki-Lücke

Russland greift gezielt die Suwałki-Lücke an, den schmalen Landkorridor zwischen Polen und Litauen, die beide Nato-Mitglieder sind. «Dort könnte ein schockartiger russischer Vorstoss auf die Enklave Kaliningrad das Baltikum von Polen abschneiden und so die Nato teilen», sagte ETH-Militärexperte Marcel Berni (36)

Foto: Blick Visuals

In diesem Zusammenhang blicken viele Experten besorgt auf das russische Manöver Zapad (auf Deutsch: Westen), das im September in Belarus stattfinden soll. «Wir sehen die sehr grosse Angst der baltischen Staaten, dass die Russen im Zuge dieses Manövers über die Grenze kommen», sagte Militärhistoriker Neitzel zu «Bild». Die letzte Auflage des Manövers im Jahr 2021 wurde dafür genutzt, rund 130’000 russische Soldaten an die Grenze zur Ukraine zu verlegen.

3

Destabilisierung auf Spitzbergen

Russland eskaliert Spannungen um die norwegische Inselgruppe Spitzbergen, indem es historische Ansprüche geltend macht und provoziert, etwa durch das Hissen von Flaggen. Vor dieser Gefahr warnt die schwedische Sicherheitsexpertin Elisabeth Braw (51) bei «Politico». Solche Aktionen wären ein Test der Nato, da Spitzbergen mit seinen rund 3000 Bewohnern zwar Nato-Gebiet ist, aber sehr abgelegen liegt. Auch hier könnte Russland die Entschlossenheit der Nato prüfen, ohne einen umfassenden Krieg zu riskieren.

4

Hybride Kriegsführung mit Sabotageakten

Russland kombiniert hybride Kriegsführung – wie Cyberangriffe und Desinformationskampagnen – mit begrenzten militärischen Aktionen, etwa Sabotageakte gegen kritische Infrastruktur wie Unterwasserkabel. Politikwissenschaftlerin Margarete Klein warnt dabei auch vor der Instrumentalisierung russischsprachiger Minderheiten in Estland und Lettland. Dabei würde die Nato destabilisiert, indem Russland Spannungen zwischen Mitgliedsstaaten schürt, die unterschiedlich auf solche Provokationen reagieren. 

Warnungen an Europa

Gemeinsam ist allen wichtigen Szenarien, dass Russland die Nato durch gezielte und begrenzte Aktionen testen will, um deren Zusammenhalt und Reaktionsfähigkeit zu untergraben. Besonders kritisch ist die Unsicherheit über die Rolle der USA unter Donald Trump (78). «Nein, ich würde euch nicht beschützen», sagte er noch im Wahlkampf – an all jene Nato-Staaten gerichtet, die zu wenig in die eigene Verteidigung investieren. Der britische Experte Arnold betont, dass Russland genau diese Unsicherheit nutzen könnte, um die Nato zu testen. 

Mit ihren Szenarien wollen die Experten erreichen, dass sich die europäischen Staaten besser auf mögliche Bedrohungen vorbereiten. Sie folgen dabei der Logik des lateinischen Sprichworts: «Si vis pacem para bellum» – «Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor.»

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